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Der Jakobsweg

Der Jakobsweg

Titel: Der Jakobsweg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carmen Rohrbach
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seine Ratgeber und löste den Bannspruch. Rodrigo wechselte wieder die Fronten. Das Andenken an seinen Sancho II. war verblichen, der königliche Mörder hatte sich auf dem Thron etabliert. Da konnte nun auch er den Treueeid leisten. Es schien Rodrigo auch keine Gewissenskonflikte zu bereiten, fortan gegen seine arabischen Kampfgefährten anzutreten. Die Lebensaufgabe eines Ritters war der Kampf. Einen gleichrangigen Feind zu unterwerfen, erhöhte das eigene Ansehen. Und auch für den Besiegten war die Schmach weniger schlimm, wenn er von einem achtbaren Gegner niedergestreckt wurde. Konflikte, daß Menschen dabei starben, gab es nicht. Der Tod war Schicksal, Bestimmung, ihm konnte niemand entgehen. Gewiß, man trauerte um einen Gefallenen. Der Schmerz um den verlorenen Freund war aber das eine, wichtiger war, daß man stolz auf ihn sein konnte, wenn er tapfer gekämpft hatte und dann schwor man, seinem Andenken durch viele getötete Feinde Ehre zu erweisen. Diese Verhaltensweisen und Denkmuster erwarben die Ritter in ihrer Knabenzeit, bei Turnieren wurden sie eingeübt. Der Krieg war nur ein verschärftes Turnierspiel, ein Kampfsport mit tödlichem Ausgang. Ich denke mir, die Menschen konnten das Töten als ständige Beschäftigung nur deshalb ertragen, weil sie eigentlich gar nicht erkannten, daß sie selbst es waren, die töteten. Ihr Arm führte nur aus, was das Schicksal, was Gott ohnehin geplant hatte. Sie alle waren gottbestimmte Wesen. Er allein war für alles verantwortlich. Die Ritter gaben sich redlich Mühe, so viele Menschen wie nur möglich umzubringen, aber sie sahen sich selbst nicht als Mörder, sie waren nicht die Täter, sondern nur ausführende Werkzeuge, ein Schwert in Gottes Faust.
    Die Legende berichtet, daß der große Compeador El Cid ungefähr mit 50 Jahren tödlich verwundet wurde. Er befahl, nach seinem Tod seinen Leichnam auf ein Pferd zu binden und dieses ins Schlachtfeld zu jagen. Seine Getreuen taten, wie ihnen geheißen. Das Pferd, mit dem Toten auf dem Rücken, stürmte voran, an die vorderste Front. Die Araber erkannten El Cid an seiner Rüstung und dem Umhang. Sie schossen Pfeile ab, bewarfen ihn mit Lanzen. Sie sahen, daß er getroffen wurde und dennoch weiterritt. Da ergriff sie abergläubischer Schrecken. Sie glaubten den Ritter mit Dämonen und Teufeln im Bunde und flohen entsetzt. So gewann Rodrigo Diaz seine letzte Schlacht noch als Toter. Sein Andenken aber hat bis heute überdauert, weil ihm ein Dichter ein Heldenepos schrieb. Vielleicht hat er seinen Helden das erleben lassen, was er, der Dichter, selbst gern erleben wollte und Traum und Wirklichkeit miteinander verflochten. Die Leben unzähliger Ritter hätten als Vorlagen für Heldengesänge dienen können. Sie waren sich alle sehr ähnlich. Während ich darüber nachdenke, kommt mir Sancho VII. el fuerte in den Sinn, dem ich bei Roncesvalles »begegnete«. Der Sancho begann 55 Jahre nach dem legendenhaften Tod des El Cid sein Kämpferleben. Noch immer standen sich Mauren und Christen gegenüber, bekämpften sich in Scharmützeln und großen Schlachten, taktierten gegeneinander und miteinander. Kaum jemand weiß heute noch etwas über diesen angeblich 2,25 Meter großen und stärksten Mann seiner Zeit, der dem Sultan Miramamolin den faustgroßen Smaragd vom Turban riß. Oder doch - hat vielleicht die Phantasie des unbekannten Dichters, der das »El Cantar de Mio Cid« schrieb, die Helden seiner Zeit zu einem einzigen, dem »El Cid«, geformt?
    Ohne zu rasten, gehe ich seit dem frühen Morgen. Die karge Eintönigkeit der Landschaft bringt mich in einen besonderen Zustand. Es ist, als würde ich durchlässig werden. Meine Sinne sind aufnahmebereit wie sonst nie. Doch nicht nur mit den Augen, der Nase, den Ohren, der Haut nehme ich auf, sondern mir öffnen sich noch andere Ebenen der Wirklichkeit. Es entsteht ein Gleichklang zwischen mir und der Umwelt. Vom Rhythmus der Schritte getragen, tauche ich ein, verschmelze mit der Landschaft. Und während sich die Konturen meines Körpers verlieren, erfahre ich mich innerlich geweitet bis zum Horizont. Endlos möchte ich wandern. Mein Laufen erscheint mir kaum noch erdgebunden, fliegend gleite ich über baumlose Hügelketten und über ausgedörrte, stachelige, braune Grasnarbe. Es sind Tafelberge mit ausgewaschenem Karstboden, dunkles Grün des Wacholders und Steine, Steine, Steine, grau und ausgeblichen, als läge hier das Skelett der Erde bloß. Ich verspüre keinen Hunger,

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