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Der Jakobsweg

Der Jakobsweg

Titel: Der Jakobsweg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carmen Rohrbach
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eine verkehrslärmende Autostraße.

    Ein Gaststätte neben einer Tankstelle. Von außen sah sie nicht sehr einladend aus. Der Hunger war zu groß, so konnten wir nicht wählerisch sein. Die Gäste waren ausschließlich Männer, Fernfahrer. Das Essen, serviert von einer dunkelhaarigen, charmanten Kellnerin - eine Delikatesse! Einstimmigkeitsurteil: Erstklassig! So gut hatte es noch nirgendwo geschmeckt. »Da sieht man es wieder«, sagte Atze, »man soll sich nie vom äußeren Eindruck bestimmen lassen.«
    Die anderen waren so angetan, daß sie Wein bestellten und noch länger bleiben wollten. Ich ging voraus und wollte mich mit ihnen wieder in Burgos treffen. Dort angekommen, erfuhr ich, daß es in Burgos gar keine Pilgerunterkunft gibt. Also würde ich die anderen in dieser großen Stadt auch nicht wiederfinden, denn wir hatten keinen anderen Treffpunkt ausgemacht. Da fiel mir die berühmte Kathedrale von Burgos ein. Sicher würden sie es nicht versäumen, sie zu besichtigen. Zuerst umrundete ich das Bauwerk, obwohl reine Gotik, sprach es mich an. Ausgewogen in seiner Größe, nicht zu wuchtig und nicht zu himmelwärts ragend. Viel Zierat aus steinernem Filigran nach Art der Gotik, aber im rechten Maß, weder zu überladen noch zu verschnörkelt. Kaum zu glauben, daß an dieser Kathedrale, wenn auch mit Unterbrechungen, 300 Jahre lang gebaut wurde und dennoch ein einheitlich wirkendes Werk geschaffen werden konnte. Wie viele Menschenschicksale mögen mit dem Bau verflochten sein? Hochfliegende Hoffnungen, Enttäuschungen, lebenslange Arbeit - 300 Jahre, das sind zwölf Generationen! Im Jahr 1221 wurde der Grundstein gelegt unter Bischof Mauricios. Er trug den Beinamen »der Engländer« und hatte in Paris studiert, war in Rom und im deutschen Kaiserreich gewesen. Aber weder Name noch Herkunft des ersten Architekten sind bekannt. Wie war das - der Anfang? Was mußte nicht alles bedacht werden, bei einem so gewaltigen Bauwerk: Berechnungen der Statik, Beschaffenheit des Untergrundes, Auswahl des Baumaterials und sein Transport, die Gerüste, das Bauholz... Was mir auch einfallen mag, ich sehe nur Schwierigkeiten und Probleme. Wer hatte soviel Mut, sich über alle Bedenken hinwegzusetzen und einfach zu beginnen? Wo hatte er die Kenntnisse erwerben können, die die Planung und Leitung eines solchen Werkes erfordern? Kathedralen wurden ja nicht alle Tage in Auftrag gegeben. Verließ er sich auf seine Intuition? Waren es generationenlange Erfahrungen der Baumeisterzünfte? Wir wissen es nicht und können nur vermuten, wie es damals vor fast 800 Jahren war. Nach nur neun Jahren stoppte der Bau. Dreizehn Jahre lang wurde kein Stein bewegt, erst ein neues Ablaßgesetz des Papstes ermöglichte die weitere Finanzierung. Dreizehn Jahre sind kein Zeitraum im Vergleich mit einer Bauzeit von insgesamt 300 Jahren, wohl aber für die Lebensdauer eines Menschen. Was tat der Baumeister so lange: Kämpfte er um den Weiterbau, bekam er inzwischen einen anderen Auftrag, verzweifelte er, wurde er krank, starb er, oder erlebte er noch die zweite Bauphase? 39 Jahre nach Beginn konnte das Gotteshaus als Rohbau geweiht werden. Noch fehlten die Türme, mehrere Portale, Kapellen und so manches mehr. Der Baumeister Hans von Köln wurde aus Deutschland geholt und mit der Errichtung der 84 Meter hohen Wehrtürme beauftragt. Sohn Simon und Enkel Francisco, in Spanien aufgewachsen und mit Spanierinnen verheiratet, führten das gigantische Werk fort.
    Heute ist die Kathedrale weniger ein Gotteshaus, sondern ein Rummelplatz für Touristen. Gewiß, da war der großartige Blick hinauf in den Vierungsturm, dieses zu einem kunstvollen Stern geformte Gewölbe - aber die Überfülle der angefügten Kapellen, jede für sich eine Kirche, die reiche Ausstattung und Dekoration machten mich gleichgültig. Da hatte man zuviel gewollt und damit die Harmonie zerstört. Wegen der vielen Menschen konnte die Kathedrale auch kein Ort der Besinnung sein. Da wälzten sich die Touristengruppen von Kapelle zu Kapelle, hallten die Stimmen der Führer in englisch, deutsch, französisch, spanisch und unaufhörlich klickten die Fotoapparate. Vielleicht wäre die Kathedrale ganz anders, wenn ich allein dort wäre, und dann müßte nur für mich die Orgel spielen, wie ich es in der Kathedrale von Sevilla einmal erlebte.
    Sechs Uhr abends - die anderen hatte ich nicht getroffen -, ich müßte mich um ein Zimmer in einem Hotel bemühen, aber meine Kraft reichte nicht, allein der

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