Der Jakobsweg
Frauen halten ihr Morgenschwätzchen von Fenster zu Fenster.
Am Touristeneingang zur Klosterkirche und zum Kreuzgang - das Kloster selbst bleibt für Besucher gesperrt - gibt es Eintrittskarten zu kaufen. Besser wäre es, die Mönche würden auch in den Kreuzgang niemanden einlassen, denn die schwatzenden und knipsenden Touristen in luftiger Kleidung entweihen den ehrwürdigen Kreuzgang. In der Mitte des Kreuzganges steht eine schlanke, hohe Zypresse. Das Geviert der Säulengänge hat zwei Etagen. Die oberste Etage ist für Besucher nicht zugänglich. In der unteren wird meine Aufmerksamkeit sofort von den über 100 Säulen gefesselt. Diese Doppelsäulen sind oben mit einem Kapitell verbunden. Jeweils aus einem einzigen Block herausgearbeitet, versprühen die Kapitelle in beschwingter Virtuosität und Leichtigkeit viel Phantasie. Jedes Kapitell ist anders. Zwar greifen einige gleiche Motive auf, aber sie scheinen dann von verschiedenen Künstlern geschaffen worden zu sein, weil die Ausführung unterschiedlich ist. Da gibt es Kapitelle mit ornamentalen Mustern: Mit großer handwerklicher Fertigkeit ist der Stein wie ein Korb geflochten. Es sieht tatsächlich aus, als würden Weidenzweige über und untereinander geführt. Üppige Vielfalt an anderen mit Figuren, die zwischen Blattwerk und Ranken hervorlugen. Trotz verschwenderischer Phantasie entsteht kein wuchernder Wirrwarr, sondern durch Symmetrie wird der Phantasie Form und Maß gegeben. Besonders die bizarren Fabelwesen interessieren mich. Da gibt es geflügelte Gazellen, andere sind halb Löwe, halb Greif, auch die Harpyen aus der antiken Sagenwelt fehlen nicht. Die Harpyen sind schöne Frauen mit einem Adlerkörper. Dazwischen realistische Darstellungen von Hasen, Hirschen, Vögeln, verwoben und verflochten mit Pflanzenornamenten: Lebensbäumen, Blättern, Blumen, Ranken. Diese Kapitelle wirken nicht wie gemeißelt, eher wie geschnitzt, wie ziseliertes Silbergeschmeide oder wie eine Elfenbeinschnitzerei. Nur zwei Kapitelle, offensichtlich später geschaffen, zeigen Szenen aus dem Leben Christi.
Kaum finde ich Muße, den Kreuzgang auf mich wirken zu lassen, denn ich mußte mich einer Touristengruppe anschließen, die von einem Mönch geführt wird. Wenn ich zurückbleibe, winkt er mich ungeduldig herbei. Es gelingt mir nicht, ihm aus den Augen zu kommen. Nicht, daß mich seine Ausführungen nicht interessieren würden; er weiß Dinge zu berichten, die ich in keinem Buch gelesen habe. Aber wichtiger noch ist es für mich, die mystischen Geheimnisse dieses Kreuzganges zu erspüren, aber dazu fehlt die Atmosphäre, Ruhe und Stille bräuchte ich und Alleinsein. Hinter uns folgt bereits die nächste Gruppe, geführt von einem anderen Padre. So muß ich mit den Jahreszahlen, geschichtlichen Fakten, Tatsachen und Vermutungen vorliebnehmen und versuchen, sie mit meiner Phantasie zu beleben: Bei Ausgrabungen fand man Grundmauern, westgotische Säulen und Kapitelle. Auch hier stand ein westgotisches Heiligtum, ein Kloster, gegründet um 593, das dem heiligen Stephanus geweiht war, so lange, bis Almansor erschien. Derselbe Almansor, der die schöne Schwester hatte, die sich in den Vater der sieben Prinzen von Lara verliebte und den Mudarra gebar.
Das Kloster wurde wieder aufgebaut. Der Kreuzgang soll aus der Zeit stammen, als der heilige Domingo Abt des Klosters war. Sein Lebenslauf gleicht dem Brückenbauer Domingo de la Calzada, dem Straßenbauer San Juan de Ortega und dem Einsiedler San Millán. Das alltägliche Leben der Menschen in den Dörfern wird wohl trotz Auseinandersetzungen mit den Arabern recht gleichmäßig verlaufen sein. Wie auch die anderen Heiligen mußte sich der junge Domingo als Hütejunge nützlich machen. Einem aufgeweckten Knaben wie ihm genügte es aber nicht, zu arbeiten, zu essen und zu trinken und später eine Familie zu gründen; er suchte nach einem Sinn für sein Leben. Im Jahr 1032 trat er als Novize ins Kloster San Millán ein. Nach der Priesterweihe lebte er wie vor ihm Aemilian in einer Höhle am San Lorenzo. Doch er fühlte sich zum Erzieher und Lehrer berufen und ging zum Kloster zurück, um Novizen zu unterweisen. Der König von Navarra brauchte gerade Geld, um gegen seinen Bruder, den König von Kastilien, in den Kampf zu ziehen. Das Kloster San Millán war reich und der König forderte den Klosterschatz. Diesem König, Garcia Sanchez III., war die Madonna in der Höhle erschienen und er hatte daraufhin das Kloster von Nájera
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