Der Jakobsweg
Restaurationsarbeiten die Patina Opfer einer allzu gründlichen Reinigung geworden.
Die Ortschaft Frómista gefällt mir nicht. Wahrscheinlich ist sie in den letzten Jahren zu schnell gewachsen und dadurch gesichtslos geworden. Auch das refugio ist keine einladende Unterkunft. Ich bin durch die Nächte unter freiem Himmel verwöhnt, ein stickiger Raum ist eine schlechte Alternative. Und Atze ist scheinbar auch nicht hier. Weiter geht es nach Población de Campo. Das Knie streikt noch immer. Ich müßte eigentlich wissen, daß ich es bei dem Gewaltmarsch nach Silos überanstrengt habe, aber ich will es nicht wahrhaben. Ich rede mir ein, die beste Medizin gegen ein steifes Bein sei - Bewegung! Bewegung macht locker und geschmeidig. Nur schön laufen, das Knie eifrig hin und her beugen, da wird es sich schon wieder einrenken. Ein Stock wäre nicht schlecht. Ich breche einen Ast ab und benutze ihn als Wanderstock. Das hilft. Leider ist es Akazienholz und mit Dornen gespickt. Als ich nach Población de Campo komme, errege ich humpelnd und mit meinem Dornenstock einiges Aufsehen. Vor allem die Frauen reagieren mitleidsvoll: »Hija, hijita, que pasa contigo, Tochter, Töchterchen, was ist denn mit dir passiert?« Ich versichere, alles sei in Ordnung, doch lasse ich mich gern von einer Frau in ihr Haus einladen, eine gute Gelegenheit, um zu sehen, wie die Menschen hier leben. Gleich beim Eintreten verblüfft mich, wie kühl es innen ist. Während die Sonne draußen eine brütende Hitze produziert, herrscht in dem einfachen Lehmhaus eine angenehme Temperatur. Da braucht es keine modernen Baustoffe, Ventilatoren und Kühlsysteme.
Die Bäuerin bietet mir einen Holzstuhl mit Flechtwerk an und stellt ein Glas mit Rotwein auf den Tisch. Der Raum ist wegen der kleinen Fenster ziemlich dunkel. Langsam gewöhnen sich meine Augen daran. Die Stube ist ein Mehrzweckraum: zum Arbeiten, Essen und Schlafen eingerichtet und mit praktischen Möbeln, Gegenständen und Gerätschaften gefüllt. Es sieht kunterbunt und wirr aus und doch scheint alles zusammenzupassen. Zum Abschied schenkt die Frau mir einen Hirtenstab. »Der ist stabil und glatt«, sagt sie. »Gib mir dafür deinen Akazienast, den kann ich gut als Feuerholz verwenden.«
Nach zwei Wanderstunden sehe ich die eigenartige Kulisse von Villalcázar de Sirga. Kleine geduckte Bauernhäuschen reihen sich um eine riesige, imposante Kathedrale. Was macht eine Kathedrale in einem winzigen, weltabgeschiedenen Bauerndorf? Auch Villalcázar muß einstmals eine reiche, bedeutende und große Ortschaft gewesen sein. Am Dorfbrunnen befeuchte ich die Silastikbinde, die ich mir inzwischen um das Knie gewickelt hatte. Ein Mann stürzt wild gestikulierend auf mich zu. Vielleicht darf das Wasser nur zum Trinken benützt werden, denke ich erschrocken. Nein, das meint er nicht. Aber ich müsse sofort mitkommen! Er sei doch Pablo! Ob ich denn noch nichts von ihm gehört habe, von Pablo, dem Pilgervater? Bei ihm gebe es umsonst für alle Pilger eine Suppe und ein Glas Wein. Es ist verblüffend und anrührend, immer wieder auf Menschen zu treffen, für die die vergangene Pilgertradition noch ganz selbstverständlich und lebendig ist.
»Kommen Sie, da ist auch schon ein anderer Pilger«, drängt Pablo.
In einer dunkelgewölbten Gaststätte sitzt Atze an einem Holztisch und hält mir begrüßend den Rotweinkrug entgegen. Pablo hat ihn genau wie mich draußen eingefangen und in seine Gaststube gelockt.
»Wie hast du mich nur so schnell einholen können?« staunt der Holländer. Er selbst war noch einen Tag länger in Burgos geblieben. Ihm war es in der mit hohen Gittern unterteilten Kathedrale wie mir ergangen. Eigentlich wollte auch er die Stadt gleich wieder verlassen. Aber dann war es schon zu spät; es wurde dunkel. Er fragte eine Frau nach dem Weg zu einer Pension - und die Frau nahm ihn gleich mit zu sich nach Hause, zu ihrer Familie. Am nächsten Tag haben ihn Sohn und Tochter durch Burgos geführt. »Oh, war das anstrengend! Kannst du dir ja vorstellen, wenn ununterbrochen Spanisch auf einen eingeredet wird«, sagt Atze. »Toll war es trotzdem, einfach phantastisch. Ich glaube, jetzt kenne ich alle Kneipen dort. Rein und raus, von einer zur anderen, sind wir gezogen, und überall trafen wir Freunde von Jorge und María, so hießen die Kinder meiner Gastgeberin.«
»Was ist mit Justin und Gerda?« will ich wissen.
»Justin ist sicherlich schon zwei, drei Tage voraus. Gerda wollte mit dem Bus bis
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