Der Jakobsweg
verschlossen. Wir müssen warten, da in Kürze eine Trauung stattfindet. Beim Umrunden des Bauwerkes fällt am südlichen Querschiff eine große Rosette auf. Das Steinfiligran durchbricht die gleichmäßig behauenen, gelben Steinquader der hohen Kirchenwände, die sonst außer schmalen Fensterschlitzen ohne Schmuck sind. Die Kirche, die 1288 fertiggestellt wurde, wirkt trotz des gotischen Portals noch sehr romanisch.
Ein Pulk Autos drängt in das Bauerndorf, in dem Hühner auf den ungepflasterten Straßen picken, Misthaufen hinter den Lehmhäusern duften und Strohballen sich neben den Scheunen stapeln. Aus den Autos winden sich Scharen von Menschen. »Stadtleute«, sagen die Dörfler. »Das sind die Hochzeitsgäste.«
»Es ist also gar keine Dorfhochzeit«, fragen wir enttäuscht.
»Nein, die kennen wir nicht. Die kommen aus Palencia oder Madrid, reiche Leute, die es sich leisten können. Sie heiraten hier, wegen der Folklore. Unser Dörfchen ist berühmt für seine Vergangenheit.«
Die Hochzeitsgesellschaft, es mögen wohl über 300 Leute sein, treibt großen Aufwand. Eine Musikkapelle spielt mittelalterliche Musik, riesige, mehrstöckige Torten werden von Lakaien in höfischer Tracht durch die Menge getragen.
Die Einheimischen nehmen an dem Spektakel kaum Anteil. »Das sind wir schon gewöhnt, da kommen oft welche«, sagen sie. »Es ist unecht, aber wenn es denen Spaß macht...«
Dafür sind dann fast alle Einwohner zur Abendmesse in der Kirche anwesend. Es ist ein heller Raum. Das gelbe Gestein schimmert warm. Das Licht fällt durch die große südliche Rosette. Starke Pfeilerbündel stützen das Kreuzrippengewölbe. Die Pfeiler drängen sich eng aneinander, fast entsteht der Eindruck geschlossener Säulenwände, und trotzdem wirkt der Raum hallenweit und lichtdurchflutet.
Als die Gläubigen singen, verstärkt sich die weihevolle Stimmung. Mächtig wie eine Brandung schwingen die Töne durch die Kirche, widerhallen und verebben schließlich.
Nach dem Gottesdienst werden wir angesprochen. Wir fallen auf, als einzige Fremde, die an der Messe teilgenommen haben. Da sei eine Feier in einer Bodega, einem Weinkeller, lädt man uns ein. Vier Spanier und wir quetschen uns in ein Auto. Allerdings geht die Fahrt nur 500 Meter weit.
»Warum sind wir die paar Schritte nicht gelaufen?« frage ich verblüfft. Die Männer lachen.
»Wozu haben wir denn das Auto?« entgegnen sie entwaffnend.
Der Weinkeller ist eine Art Gartenhäuschen mit nur einem Raum, einem winzigen Fenster, der Kamin aber füllt die Hälfte der hinteren Wand aus. Ein großer, runder Holztisch und Holzbänke vervollständigen die Einrichtung.
»Der wichtigste Teil der Bodega liegt unterirdisch«, verkünden sie stolz und führen uns eine schmale Stiege hinab in ein tiefes Gewölbe, in dem dunkel und kühl der Wein lagert. »Da nehmen wir gleich was mit hinauf«, bestimmt Pepe. Er ist Taxifahrer und hat auch das Auto gesteuert. Paco, sein Schwager, ist der Dorfbäcker. Er schlägt die Tücher von zwei großen Bündeln auseinander, und zum Vorschein kommen goldgelbe, noch warme Brotfladen. Jaime und Enrique, zwei Bauern, lüften die Deckel von Töpfen und Schüsseln, die sie mitgebracht haben. Lukullische Herrlichkeiten häufen sich auf unseren Tellern: Leberpasteten, Gulasch, Lammfleisch, Würste, Kartoffelsalat. Ich esse für acht Tage im voraus. Wir essen und trinken bis weit nach Mitternacht. Die Stimmung ist herrlich. Nach einer Weile fällt mir auf, daß ich die einzige Frau in der Gruppe bin.
»Wer hat denn das gute Essen gekocht?« frage ich.
Synchron ertönt die Antwort: »Nuestras esposas, unsere Ehefrauen.«
»Und wo sind sie? Warum feiern sie nicht mit?«
» Mi esposa, meine Frau, bleibt lieber zu Hause«, sagt Paco, der Bäcker.
»Mi señora, meine Frau, paßt auf meinen Sohn auf«, stellt Pepe, der Taxifahrer, fest.
»Mi mujer, meine Frau, würde sich nur langweilen«, behauptet Jaime, der Bauer.
Und Enrique schließt kategorisch das Thema ab: »Die Bodegas sind nur für die Männer da, Frauen kommen hier nicht her, außer tagsüber zum Saubermachen.«
»Aber ich bin doch auch eine Frau, macht es euch nichts aus, daß ich in eurem Heiligtum bin?«
»Nein, überhaupt nicht, wieso? Die Bodegas sind ja nicht für Frauen verboten. Sie sind eben einfach nicht mit dabei, weil es so Tradition ist.«
»Früher hatte jede Familie ihren Weinkeller«, erzählt Jaime, »denn es wurde sehr viel Wein angebaut. Wir lebten vom Weinanbau. Aber
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