Der Jakobsweg
so sehr, daß ich seinen Ausführungen in Spanisch nicht recht folgen kann. Erst die Jahreszahl 636 läßt mich aufhorchen, denn das ist Westgotenzeit!
»Was hat er gesagt?« frage ich Atze flüsternd.
»Stör mich nicht, ich muß mich auf die Sprache konzentrieren«, entgegnet er.
Der junge Führer blickt in unsere Richtung und wiederholt leicht ärgerlich seinen Satz: »Isidoro war 76 Jahre alt, als er 636 in Sevilla starb. Er war nicht nur Erzbischof gewesen, sondern ein bedeutender Kirchengelehrter. In seinem zwanzigbändigen Werk hat er das gesamte Wissen seiner Zeit zusammengefaßt. Viele Bücher aus der Antike, deren Originale heute verloren sind, übersetzte und zitierte er. Seine Gebeine ruhten in Sevilla bis zum Jahr 1063.«
Er unterbricht seine Rede und führt uns in den Saal der Doña Sancha. Sie war die letzte des Geschlechtes der asturischen Könige, die bis auf den Westgoten Pelayo zurückgehen, dem es im legendären Kampf von Cavadonga im Kantabrischen Gebirge 722 gelang, den Ansturm der Araber zu stoppen - endlich ein Sieg für die Christen.
Asturien war das erste Königreich Spaniens. Als die Christen dann erstarkten, bildeten sich mehrere kleine Reiche am Rande der Pyrenäen und des Kantabrischen Gebirges: Navarra, Kastilien, Asturien, Galicien. Bald waren sie miteinander verfehdet und bekämpften sich ständig.
Der Führer verweist auf die Reliquienschreine mit Elfenbeinreliefs, kostbare Kreuze und Gefäße. Ich kann mit solchen musealen Gegenständen wenig anfangen. Erst als der Führer die Geschichte der Doña Sancha weitererzählt, höre ich interessiert zu.
Fernando I., der König Kastiliens, führte Krieg gegen Asturien, um sein Reich zu vergrößern. Es war der Fernando, zu dem Santo Domingo de Silos geflüchtet war. Im Kampf wurde Bermudo II., der letzte männliche Nachkomme des asturischen Königsgeschlechts, getötet. Der Sieger Fernando heiratete die Schwester des getöteten Bermudo, es war Sancha, in deren Gemächern wir uns befinden.
Der Führer deutet auf einen kostbaren Kelch.
»Das ist der Kelch der Urraca, einer Tochter Fernandos und Sanchas.«
Der Führer berichtet die Geschichte des Bechers:
»Kaum hatte Fernando durch viele Kämpfe sein großes Reich geschaffen, zerfiel es schon wieder, als es wie üblich unter seinen Kindern aufgeteilt wurde. Seine Tochter Urraca erhielt den südlichen Teil um Zamora. Sohn Sancho II., genannt der Starke, bekam Kastilien - derselbe Sancho II., dem El Cid seinen Treueeid geschworen hatte. Sancho war nicht zufrieden und stürzte sich in einen Kampf gegen seine Schwester Urraca. Sie aber ließ sich nicht einschüchtern. Wie eine Heldin soll sie gekämpft haben. In der Schlacht fiel der »starke Bruder«, ob dabei der andere Bruder Alfonso VI. nachhalf, wie es El Cid behauptete, ist nicht bewiesen. Jedenfalls profitierte er von dem Tod des Bruders und erbte dessen Land.«
Ich finde es eigenartig, daß trotz dieser mörderischen Geschwisterkämpfe dieses irrsinnige Erbfolgerecht jahrhundertelang erhalten blieb.
Nach dieser Anekdote von Urraca und Sancho erzählt der Führer die Legende von der Auffindung der Reliquien des heiligen Isidoro.
»Fernando und Sancha hatten die Kirche gestiftet und das Panteón als ihre zukünftige Grabkammer bestimmt. Jetzt brauchten sie nur noch eine Reliquie, wie damals üblich, um das Gebäude zu heiligen. Fernando dachte an die Gebeine der Märtyrerin Justa. Er schickte Alvito, den Bischof von León, und Ordoño, Bischof von Astorga, nach Sevilla zu Abbad ben Abu-al-Qasim Muhamnad.«
Der Führer, der den Namen runtergeschnurrt hat wie ein Spinnrad, schaut lächelnd in die Runde. Stolz auf seine Übung wiederholt er sie gleich ein zweites Mal. Dann meint er begütigend: »Sie brauchen sich aber diesen schwierigen Namen nicht merken. Sie können auch ganz einfach sagen: Abbad al-Mutadid, wie er sich abgekürzt nannte. Vielleicht wundern Sie sich, daß die zwei Bischöfe ohne weiteres zu dem arabischen Herrscher im Süden reisen konnten. Aber es fanden ja nicht dauernd Kämpfe statt und Fernando war so mächtig, daß er in dieser Zeit sogar von den Arabern Tribut fordern konnte. Abbad al-Mutadid empfing die Abgesandten freundlich und war bereit, die Reliquie als Teil seiner Tributzahlung mitzugeben, aber niemand konnte die heilige Justa finden. Die zwei Bischöfe waren entmutigt. Sie konnten schlecht mit leeren Händen zu dem strengen König zurückkehren. In höchster Not hatte Bischof Alvito einen Traum.
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