Der Jakobsweg
Der heilige Isidoro erschien ihm im Schlaf. Er zeigte ihm, wo seine Knochen versteckt waren und verkündete, es sei ihm und nicht Justa bestimmt, nach León gebracht zu werden. Zugleich prophezeite er dem Bischof, daß er León nicht wiedersehen, sondern innerhalb einer Woche sterben werde.«
Der Führer machte eine Pause, um die Spannung seiner Zuhörer zu erhöhen. Dann fährt er fort: »Es geschah alles, wie der Traum vohergesagt. Die Gebeine des San Isidoro wurden an besagter Stelle gefunden. Abbad a-Mutadid hüllte zum Abschied die Reliquie in kostbare Stoffe und soll den denkwürdigen Satz gesagt haben: »Nun gehst du fort von hier, verehrungswürdiger Isidor, dennoch weißt du selbst, wie sehr deine auch meine Sache ist.«
Der junge Mann schweigt, um die Worte wirken zu lassen. Dann fügt er hinzu: »Neben Phasen fanatischer Eroberungen gab es auch viele arabische Herrscher, die sich von Toleranz in religiösen Fragen leiten ließen, die großmütig, aufgeklärt und vorurteilsfrei waren und die Kunst und Wissenschaft förderten.«
Ein Besucher fügt hinzu: »Dieser Abbad hat ja sogar seine Tochter Zaida mit Alfons VI., dem Sohn Fernandos, vermählt.« Der Führer ergänzt: »Das stimmt. Sie wurde die vierte Gemahlin von Alfons VI., der, nachdem sein Bruder Sancho im Kampf gegen seine Schwester Urraca gefallen war, wieder ein großes Reich regierte.«
Er fordert uns nun auf, ihm in das Panteón zu folgen. Wir treten in einen kryptaähnlichen Raum. Gedrungene Säulen stützen das Kreuzgewölbe. Überraschend sind die Wandmalereien. In dichter Buntheit überziehen sie Decke und Jochbögen bis hinab zu den Kapitellen, keine Stelle bleibt frei. Die Farben leuchten in erstaunlicher Frische. Rot, Grün, Ocker, Sepia, Grau und Weiß überwiegen. Mich erinnert die Art der Darstellungen an mittelalterliche Buchillustrationen.
Die Stimme des Führers hallt durch das Gewölbe: »Unter Fernando II., der von 1157 bis 1188 herrschte, dem Urenkel von Alfons VI., sind diese Malereien entstanden. Der Künstler ist namentlich nicht bekannt. Aber schauen Sie es sich an, man kann deutlich erkennen, daß sich der Meister an byzantinischen Vorbildern orientiert hat. Neben Szenen aus der biblischen Geschichte sehen Sie hier Bilder für jeden Monat. Diese Monatsbilder, in denen der Künstler das Leben auf dem Land gestaltete, geben uns heute eine Vorstellung vom Leben der Landbevölkerung. Entscheiden Sie selbst, ob sich viel verändert hat.«
Weil die Malerei durch ihre Farbigkeit und Fülle den Raum beherrscht, merkt man kaum, wie klein er ist. Nur neun mal sieben Meter messe ich mit meinen Schritten und niedrig über dem Kopf wölbt sich die Decke, fast kann ich sie mit meiner Hand streifen. Denn das Panteón Real ist ja eine Grabkammer. In einfachen, schmucklosen Steinsärgen sind hier der Sancho Garces III., der Vater von Fernando I., auch Fernando selbst, Sancha und weitere Fürsten und Fürstinnen begraben. Eigentlich hatte Fernando I. das Kloster Santo Domingo de Silos als Ruhestätte für sich bestimmt. Sancha konnte ihn überreden, sich für das Panteón zu entscheiden.
Vielleicht war die Verbindung zwischen beiden recht harmonisch, obwohl ja Fernando einst als Eroberer kam und für den Tod ihres Bruders Bermudo verantwortlich war.
Die Führung ist beendet.
»Du, Atze, jetzt habe ich erst einmal genug von der Vergangenheit. Laß uns zu Licht und Sonne gehen.«
Wir haben Pech. Das Wetter hat abrupt umgeschlagen, kalt ist es geworden und es regnet.
Atze sagt: »Gerade richtig, um etwas zu essen. Ich habe schon wieder einen Riesenhunger.«
Weil es regnet, sind wir nicht wählerisch und gehen in das nächste Restaurant. Es ist gemütlich und das Essen schmeckt gut.
Ohne Atze würde es mir in León nicht so gut gefallen. Es hat Spaß gemacht, mit ihm durch die Stadt zu streifen, Rast zu machen in den Parks, café con leche in den Bars zu trinken, die Kathedrale mit den Glasfenstern, San Isidoro und das Panteón zu besichtigen und jetzt zusammen hier zu sitzen. Stundenlang können wir miteinander reden, ohne daß es langweilig wird. Es ist, als würden wir uns lange kennen. Plötzlich sagt er: »Weißt du, ohne dich würde ich mit meinem grünen Fahrrad immer noch zwischen Logroño und Burgos herumirren.«
Er meint es scherzhaft, doch irgendwie werde ich alarmiert von dem Ton seiner Stimme, von dem Blick in seinen Augen. Ich entgegne: »Es war doch Justin, der dich aufgemuntert hat. Er hat dir Mut gemacht, das
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