Der Janson-Befehl
entdeckte sie auf dem an das Gerät angeschlossenen Videorecorder eine Videokassette, schob sie in den Schlitz und drückte auf RECORD.
Ein Sonderbericht über den schwindenden Einfluss der Federal Reserve. Neue Spannungen zwischen Nord- und Südkorea. Die letzten Modeverrücktheiten der japanischen Teenager. Proteste gegen genmanipulierte Lebensmittel in England. Inzwischen waren vierzig Minuten auf Videoband aufgezeichnet worden. Dann kamen drei Minuten über eine Frau in Indien, die in Kalkutta eine Klinik für ihre an Aids erkrankten Landsleute führte. Eine hausgemachte Mutter Teresa hatte sie jemand genannt. Und - der Anlass für das Feature - die gestrige Zeremonie, bei der die Frau geehrt worden war. Ein distinguiert wirkender Mann, der ihr eine humanitäre Auszeichnung verlieh. Derselbe Mann, der mitgeholfen hatte, ihre Klinik zu finanzieren.
Peter Novak.
Der große, verstorbene Peter Novak.
Janson starrte auf den Großbildschirm und hatte das Gefühl, alles würde um ihn herum kreisen. Entweder war dies ein komplizierter technischer Trick, oder, was wahrscheinlicher war, die Szene war früher, viel früher, aufgenommen worden.
Wenn sie es sich genauer ansahen, würde das vermutlich klar zu erkennen sein.
Sie ließen die Aufnahme zurücklaufen. Da war Peter Novak, die vertraute Gestalt, ganz unverkennbar. Er grinste und sprach in ein Mikrofon. »Es gibt ein ungarisches Sprichwort, das ich sehr schätze. Sok kicsi sokra megy. Das bedeutet, dass viele kleine Dinge sich zu einem Großen zusammenfügen können. Es ist mir ein Privileg, diese bemerkenswerte Frau ehren zu können, die mit zahllosen kleinen Akten des Mitgefühls und der Hingabe der Welt wirklich etwas Großes gegeben hat.«
Es musste eine einfache Erklärung geben. Das musste es einfach.
Und dann sahen sie sich das Band noch einmal an. Bild für Bild.
»Halten Sie hier an«, sagte Jessie plötzlich. Sie sahen es jetzt das dritte Mal. Sie deutete auf eine Zeitschrift, die die Kamera flüchtig auf einem Tisch erfasst hatte, an dem Novak nach der Zeremonie interviewt worden war. Sie lief in die Küche zurück, holte dort das Exemplar des Economist, das Janson am Vormittag am Zeitungskiosk gekauft hatte.
»Es ist die gleiche Ausgabe«, sagte sie.
Auf dem Titelblatt war dasselbe Bild zu sehen, und die Zeitschrift war die neueste Ausgabe. Das war kein altes Band, das man da gesendet hatte. Es war nach der Katastrophe in Anura gefilmt worden, musste nach der Katastrophe gefilmt worden sein.
Aber wenn Peter Novak lebte, wer war dann am Himmel über Anura gestorben?
Und wenn Peter Novak tot war, wen sahen sie da auf dem Bildschirm? Janson hatte das Gefühl, ihm würde gleich übel werden.
Das war Wahnsinn.
Was hatten sie gesehen? Einen Zwillingsbruder? Einen Betrüger?
War Novak ermordet worden und . von einem Double ersetzt? Das wäre diabolisch, fast unvorstellbar. Wer würde so etwas tun?
Wer wusste sonst noch Bescheid? Er griff nach seinem Handy, rief Novaks Leute in New York und Amsterdam an. Eine wichtige Mitteilung für Peter Novak. Seine persönliche Sicherheit betreffend.
Er benutzte jedes Code-red-Wort, das er kannte - doch wiederum ohne Erfolg. Die Antwort, die er bekam, war ihm inzwischen vertraut: gelangweilt, phlegmatisch, ungerührt. Man würde die Nachricht übermitteln; aber kein Versprechen, sich zurückzumelden. Niemand war bereit, sich über Mr. Novaks augenblicklichen Aufenthaltsort zu äußern. Und Marta Lang - wenn es sich dabei um ihren echten Namen handelte - war gleichfalls nicht aufzutreiben.
Eine Viertelstunde später saß Janson da, stützte den Kopf auf beide Hände und versuchte Ordnung in seine wild durcheinander wirbelnden Gedanken zu bekommen. Was war Peter Novak widerfahren? Was widerfuhr Janson selbst? Als er aufblickte, sah er, dass Jessie Kincaid ihn mit verletzter Miene anstarrte.
»Ich bitte Sie nur um eines«, sagte sie, »und ich weiß, dass das sehr viel verlangt ist, aber ich bitte Sie trotzdem: Lügen Sie mich nicht an! Ich habe zu viele Lügen gehört, verdammt, ich habe selbst zu oft gelogen. Was das betrifft, was in Anura geschehen ist, so habe ich dafür nur Ihre Aussage, sonst von niemanden. Sagen Sie mir nur dies -was soll ich glauben?«
Ihre Augen waren feucht, Janson sah, dass sie mit den Tränen kämpfte. »Wem soll ich glauben?«
»Ich weiß, was ich gesehen habe«, sagte Janson leise.
»Und ich auch.«
Sie deutete mit einer Kopfbewegung auf den Fernseher.
»Was soll das
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