Der Janson-Befehl
haben. Doch die Erfordernisse des Überlebens waren stärker gewesen als die Erfordernisse ihrer Ermittlungen. Ja, sie hatten sie aus den Augen verloren, aber auch das Gegenteil galt, wie ihr deprimiert klar wurde: Sie hatte ihre Verfolger ebenfalls aus den Augen verloren.
Sie trafen sich in dem spartanischen Zimmer des Griff Hotel, einer umgebauten Arb eiterherb erge an der Bela-Bartok-Straße.
Jessie hatte ein Buch bei sich, das sie auf ihren Wanderungen durch die Stadt entdeckt hatte. Es handelte sich offenbar um eine Art Tribut an Peter Novak, und obwohl das Buch in ungarischer Sprache verfasst war, hatte das nicht viel zu bedeuten: Im Wesentlichen handelte es sich um einen Bildband.
Janson nahm es und zuckte die Schultern. »Das scheint mir für eingefleischte Fans gemacht zu sein«, sagte er. »Ein Peter-Novak-Band für den Bücherschrank. Was haben Sie in den Archiven herausgefunden?«
»Eine Sackgasse«, erklärte sie niedergeschlagen.
Er musterte sie scharf, sah ihr bedrücktes Gesicht. »Raus damit«, sagte er.
Stockend berichtete sie ihm, was geschehen war. Für sie war es inzwischen offenkundig, dass der Archivangestellte im Sold der Leute stand, die hinter ihnen her waren, dass er Alarm geschlagen und sie dann in eine Falle gelockt hatte. :
Janson hörte mit wachsendem Unbehagen zu, wurde schließlich zornig. »Sie hätten das nicht alleine tun sollen«, sagte er, bemüht, seinen Ärger zu zügeln. »Ein solches Treffen - Sie müssen die Risiken geahnt haben. Sie dürfen nicht so auf eigene Faust losziehen, Jessie. Das ist verdammt unvorsichtig.«
Er verstummte, spürte, wie sein Atem schneller ging.
Jessie zupfte an ihrem Ohr. »Höre ich da ein Echo?«
Janson seufzte. »Ich hab verstanden.«
»Also«, meinte sie nach einer Weile, »was bedeutet Mesa Grande?«
»Mesa Grande«, wiederholte er, und Bilder aus seiner Vergangenheit tauchten vor ihm auf, Bilder, die in all der Zeit nicht verblasst waren.
Mesa Grande: das Hochsicherheits-Militärgefängnis in den Ausläufern der Inland-Empire-Region Kaliforniens. Am Horizont die weißen Felsspitzen der San-Bernardino-Berge, die die kleinen beigefarbenen Ziegelbauten wie Spielzeug erscheinen ließen. Der dunkelblaue Overall, den man den Gefangenen anzulegen gezwungen hatte, mit dem weißen, mit Klettband auf seiner Brust befestigten Stoffkreis. Der Spezialstuhl mit dem Behälter darunter, um das Blut aufzufangen, und die locker am Hals des Gefangenen angebrachten Kopfstützen. Der Stapel Sandsäcke, um die Salve aufzufangen und Querschläger zu verhindern. Demarest hatte sich einer sechs Meter entfernten Mauer gegenübergesehen - einer Mauer mit Schießscharten für jedes der sechs Mitglieder des Kommandos. Sechs Männer mit Karabinern. Dieser Mauer hatte sein stärkster Protest gegolten. Demarest hatte darauf bestanden, dass seine Hinrichtung durch ein Erschießungskommando erfolgen sollte, und man hatte seinem Wunsch stattgegeben. Aber er hatte seine Henker auch von Angesicht zu Angesicht sehen wollen, und diesen Wunsch hatte man abgelehnt.
Jetzt atmete Janson wieder tief durch. »Mesa Grande, das ist ein Ort, wo ein schlimmer Mann ein schlimmes Ende genommen hat.«
Ein schlimmes Ende und ein trotziges. Denn Demarests Gesicht war trotzig gewesen - nein, mehr als das, von zorniger Empörung verzerrt -, bis die Salve abgefeuert worden war und sich der weiße Stoffkreis von seinem Blut rot gefärbt hatte.
Janson hatte darum gebeten, an der Exekution teilnehmen zu dürfen, aus Gründen, die selbst ihm schleierhaft blieben, und man hatte seinen Wunsch widerstrebend gebilligt. Janson konnte sich bis zum heutigen Tage nicht klar darüber werden, ob er die richtige Entscheidung getroffen hatte. Aber heute hatte das nichts mehr zu besagen: Auch Mesa Grande war ein Teil seiner Vergangenheit, seines Wesens. Teil dessen, was später aus ihm geworden war.
Für ihn war das ein Augenblick der Vergeltung gewesen. Ein Augenblick der Gerechtigkeit als Lohn für Ungerechtigkeit. Für andere bedeutete dieser Augenblick, wie es schien, etwas völlig anderes.
Mesa Grande.
Hatten sich die ergebenen Gefolgsleute Demarests zusammengetan, irgendwie beschlossen, nach all den Jahren seinen Tod zu rächen? Der Gedanke schien ihm unsinnig. Aber das hieß leider nicht, dass man ihn einfach abtun konnte. Demarests Devils: Vielleicht gehörten diese Veteranen zu den Söldnern, die Novaks Feinde angeheuert hatten. Konnte man denn jemand, der seine Technik von Demarest
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