Der Janson-Befehl
Ausnahmegenehmigung aus dem Ministerium.«
»Aber das ist doch albern«, sagte Jessie.
»Ich verstehe Ihren Ärger. Ihre Interessen sind genealogischer Natur - ich finde es auch absurd, dass man solche Unterlagen wie Staatsgeheimnisse behandelt. Persönlich bin ich der Ansicht, dass man die Akten einfach nur falsch abgelegt hat oder jedenfalls in der falschen Kategorie.«
»Es würde mir wirklich das Herz brechen, wo ich doch so weit gereist bin«, begann Jessie. »Wissen Sie, ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie dankbar ich Ihnen wäre, wenn Sie eine Möglichkeit fänden, um mir zu helfen.«
Die Art und Weise, wie sie das Wort dankbar aussprach, war ungemein verheißungsvoll.
»Ich glaube, ich habe einfach ein zu weiches Herz«, sagte der Archivangestellte und seufzte. »Alle sagen das. Das ist meine große Schwäche.«
»Das habe ich gleich gespürt«, flötete Jessie zuckersüß.
»Eine amerikanische Frau allein in dieser fremden Stadt das muss alles sehr verwirrend für Sie sein.«
»Wenn es nur jemanden gäbe, der mir die Sehenswürdigkeiten zeigen könnte. Einen Ortsansässigen, meine ich. Einen echten magyarischen Mann.«
»Für mich ist es nicht bloß ein Job, anderen zu helfen.« Seine Stimme klang jetzt warm und eindringlich. »Das gehört nun, das gehört einfach zu meinem Wesen.«
»Das war mir sofort klar, als ich Sie gesehen habe.«
»Ich heiße Istvan«, sagte der Angestellte. »Jetzt warten Sie mal ... Was wäre für Sie am bequemsten? Sie haben doch einen Wagen, ja?«
»Sicher.«
»Und wo parken Sie?«
»In der Garage gegenüber dem Archivgebäude«, log Jessie. Der vierstöckige Garagenkomplex war ein massiver Betonbau, dessen Hässlichkeit durch den Kontrast zu dem prunkvollen Archivbau noch betont wurde.
»Welche Etage?«
»Die dritte.«
»Sagen wir, wir treffen uns dort in einer Stunde. Ich bringe Kopien der Unterlagen in der Aktentasche mit. Wenn Sie mögen, können wir ja nachher ein wenig herumfahren. Budapest ist eine ganz besondere Stadt. Sie werden sehen, wie schön.«
»Und Sie sind ein ganz besonderer Mann«, sagte Jessie.
Mit einem mechanischen Seufzen öffnete sich die Aufzugtür und gab den Weg in ein zu zwei Dritteln mit Autos voll geparktes Geschoss frei. Eines davon war der gelbe Fiat, den sie vor einer halben Stunde dort abgestellt hatte. Bis zu ihrer Verabredung waren es nur noch wenige Minuten, und es war niemand zu sehen.
Oder war da jemand?
Und wo hatte sie den Wagen eigentlich geparkt? Sie war diesmal mit einem anderen Fahrstuhl heraufgekommen, am anderen Ende des Gebäudes. Sie sah sich um und nahm aus dem Augenwinkel die Andeutung einer Bewegung wahr - jemand, der den Kopf einzog, wurde ihr den Bruchteil einer Sekunde darauf bewusst. Typisch für stümperhafte Überwachung: Man wurde bemerkt, weil man sich zu sehr bemühte, nicht aufzufallen. Oder war das eine vorschnelle Folgerung? Vielleicht war es ein ganz gewöhnlicher Dieb, jemand, der ein paar Radkappen stehlen wollte, ein Radio vielleicht? In Budapest waren derartige Diebstähle an der Tagesordnung.
Aber diese Alternativen waren nicht relevant. Die Risiken unterschätzen hieß sie steigern. Sie musste hier schleunigst raus. Aber wie? Die Wahrscheinlichkeit, dass jemand die Fahrstuhle überwachte, war zu groß. Sie musste hinausfahren - und zwar nicht mit dem Wagen, mit dem sie hereingekommen war.
Sie schlenderte locker zwischen einer Reihe von Fahrzeugen durch, ließ sich dann plötzlich zu Boden fallen und stützte ihren Fall mit den Händen ab. Geduckt kroch sie weiter, robbte auf Ellbogen und Knien. So arbeitete sie sich zwischen zwei Fahrzeugen zur nächsten Reihe durch und huschte dann auf die Stelle zu, wo sie den sich duckenden Mann gesehen hatte.
Sie war jetzt unmittelbar hinter ihm, konnte seine schlanke Gestalt sehen. Das war nicht der Angestellte aus dem Nationalarchiv; das war jemand, den der Kontrolloffizier des Archivangestellten an seiner Statt geschickt hatte. Der Mann hatte sich jetzt wieder aufgerichtet und sah sich um; die Angst und die Verwirrung in seinem Gesicht, dem Gesicht eines Mannes um die Vierzig, waren nicht zu übersehen. Sein Blick huschte unruhig von den Ausfahrtrampen zu den Fahrstuhltüren. Er kniff die Augen zusammen, versuchte durch die Windschutzscheibe des gelben Fiat zu spähen.
Man hatte ihn ausgetrickst, das wusste er, und er wusste auch, dass er die Folgen würde tragen müssen, wenn er es nicht schaffte, wieder Anschluss zu finden.
Sie sprang auf und
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