Der Janusmann
nach Westen, und ich sah links neben uns die I-95. Jenseits von ihr lag ein schmaler Streifen graues Meerwasser, hinter dem sich der Flughafen Portland erstreckte. Dort startete gerade eine Maschine, die riesige Wasserfontänen hinter sich herzog. Als Nächstes tauchte links von uns eine Ladenzeile mit davor angeordneten Parkplätzen auf. Hier gab es die Art Geschäfte, die man in einem Billig-Einkaufszentrum zwischen zwei Flughafenzubringern zu finden erwartet. Auf dem Parkplatz standen etwa zwanzig Wagen – alle vorwärts eingeparkt mit den Stoßstangen an der niedrigen Begrenzungsmauer. Der alte Saab war das fünfte Auto von links. Harley hielt direkt hinter ihm. Trommelte mit den Fingern aufs Lenkrad.
»Okay, der gehört dir«, sagte er. »Schlüssel sind im Türfach.«
Ich stieg aus. Kaum hatte ich die Tür geschlossen, gab er wieder Gas. Aber er fuhr nicht auf die Route One zurück. Am Ende des Parkplatzes bog er zuerst links, dann sofort wieder rechts ab. Ich beobachtete, wie er die große Limousine langsam über die aus Beton gegossene improvisierte Zufahrt zum Nachbargrundstück rollen ließ und hinter einigen neuen Gebäuden verschwand. Es waren lange niedrige Bauten aus bunt lackiertem Wellblech. Irgendeine Art Gewerbegebiet. Zwischen diesen Gebäuden lag ein Netz aus schmalen, nass glänzenden Asphaltstraßen. Ich sah den Lincoln noch einmal, als er in einer Lücke zwischen zwei Gebäuden auftauchte. Harley fuhr langsam, als sei er auf der Suche nach einem Parkplatz. Dann verschwand der Lincoln hinter einem anderen Gebäude und tauchte nicht wieder auf.
Ich drehte mich um. Der Saab war vor einem Spirituosenladen eingeparkt. Links daneben lag ein Geschäft, das Stereoanlagen für Autos verkaufte. Das Schaufenster des Ladens auf der anderen Seite hing voller nachgemachter Kristallkronleuchter. Ich bezweifelte, dass das Dienstmädchen mit dem Auftrag unterwegs gewesen war, einen neuen Kronleuchter zu besorgen. Oder in den Saab einen CD-Spieler einbauen zu lassen. Also musste sie im Spirituosenladen gewesen sein. Und dort hatten sie ihr aufgelauert. Vier, vielleicht fünf Männer. Nach der ersten Schrecksekunde würde sie sich aus einem unbeholfenen Dienstmädchen in eine um ihr Leben kämpfende Agentin verwandelt haben. Aber damit würden diese Leute gerechnet haben. Ich sah nach beiden Richtungen den Gehsteig entlang. Dann begutachtete ich den Spirituosenladen. Sein Schaufenster stand voller Kartons. Die Sicht nach draußen schien ziemlich schlecht zu sein. Aber ich ging trotzdem hinein.
Der Laden war ebenfalls voller Kartons, aber menschenleer. Er war kalt und staubig. Der Verkäufer hinter der Theke, ein Mann um die fünfzig, hatte graues Haar und graue Haut und trug ein graues Hemd. Er sah aus, als sei er seit einem Jahrzehnt nicht mehr an der frischen Luft gewesen. Hier gab es nichts, das ich hätte kaufen wollen, um das Eis zu brechen. Also verzichtete ich auf alles Geplänkel und stellte ihm meine Frage.
»Sehen Sie den Saab dort draußen?«, fragte ich.
Er machte eine große Schau daraus, sich den Hals zu verrenken, um nach draußen blicken zu können.
»Ja«, antwortete er.
»Haben Sie gesehen, was mit der Fahrerin passiert ist?«
»Nein«, sagte er.
Leute, die sofort nein sagen, lügen meist. Ich griff in meine Tasche, ertastete das Geldbündel, das ich von Beck hatte, und zog den obersten Schein ab. Holte ihn heraus. Ich hatte einen Hunderter erwischt. Ich faltete ihn der Länge nach und hielt ihn zwischen Daumen und Zeigefinger hoch.
»Also, was haben Sie gesehen?«, fragte ich.
Er blickte nach links. Von mir aus gesehen nach rechts. Zum Gewerbepark mit den Wellblechfassaden. Nur ein rascher Blick, verstohlen, hinüber und zurück.
»Nichts«, erwiderte er.
»Schwarzer Town Car?«, fragte ich. »Ist nach dort drüben weggefahren?«
»Ich hab nichts gesehen«, sagte er. »Hatte zu tun.«
Ich nickte. »Hier geht’s ja zu wie im Taubenschlag, das sieht man. Ein Wunder, dass ein einzelner Mensch diesem Druck standhalten kann.«
»Ich war hinten. Am Telefon, glaub ich.«
Ich hielt ihm den Hunderter noch eine Weile hin. Hundert steuerfreie Dollar hätten seine Wocheneinnahmen bestimmt erheblich aufgebessert. Doch er wandte den Blick ab. Auch das verriet mir viel.
»Okay«, sagte ich, steckte mein Geld wieder ein und ging hinaus.
Ich fuhr mit dem Saab auf der Route One zweihundert Meter nach Süden und hielt an der ersten Tankstelle, die ich sah. Ging hinein und kaufte eine
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