Der Janusmann
»Bestimmt Leute, die auf ein milderes Urteil hoffen. Die benutzen wir dauernd. Sie verraten einander nur allzu bereitwillig.«
Dann fiel mir etwas anderes ein, das Beck gesagt hatte.
»Wie hat Teresa mit euch Verbindung gehalten?«
»Sie besaß wie du einen E-Mail-Sender.«
»In einem Schuh?«
Duffy nickte. Ich bildete mir ein, Becks Stimme laut in meinem Kopf zu hören: Ich habe etwas dazugelernt. Ab sofort werde ich die Schuhe von Leuten inspizieren, das steht fest. Darauf können Sie Gift nehmen!
»Wann habt ihr zuletzt von ihr gehört?«
»Die Verbindung ist am zweiten Tag abgerissen. Wir haben fünf Wochen lang nichts mehr von ihr gehört. Dann ist eine Nachricht gekommen, die aus einem einzigen Wort bestand.«
»Aus welchem?«
»Hilfe«, sagte sie. »Das war’s. Vor fast vier Wochen.«
»Wo hat sie gewohnt?«, fragte ich.
»In Portland. Wir haben sie in einem Apartment untergebracht. Sie war eine Büroangestellte, kein Dienstmädchen.«
»Bist du in der Wohnung gewesen?«
Sie nickte. »Seit dem zweiten Tag ist sie dort nicht mehr gesehen worden.«
»Hast du ihren Kleiderschrank inspiziert?«
»Warum?«
»Wir müssen wissen, was für Schuhe sie getragen hat, als sie gefangen genommen wurde.«
Duffy wurde erneut blass.
»Scheiße«, sagte sie.
»Richtig«, sagte ich. »Welche Schuhe sind im Schrank zurückgeblieben?«
»Die falschen.«
»Ob sie daran gedacht hat, den E-Mail-Sender verschwinden zu lassen?«
»Das hätte nichts genützt. Sie hätte auch die Schuhe verschwinden lassen müssen. Das Loch im Absatz würde Bände sprechen, stimmt’s?«
»Wir müssen sie finden«, sagte ich.
»Allerdings!«, pflichtete sie mir bei. »Heute hat sie verdammtes Glück gehabt. Diese Kerle haben eine Frau gesucht und zufällig erst das Dienstmädchen unter die Lupe genommen. Wir können nicht davon ausgehen, dass sie weiterhin so viel Glück hat.«
Ich schwieg. Großes Glück für Teresa, großes Pech für das Dienstmädchen. Zu jedem Silberrand gehört eine Wolke. Duffy nahm einen kleinen Schluck von ihrem Cappuccino. Verzog das Gesicht, als schmecke er nicht, und stellte die Tasse wieder ab.
»Aber was hat sie verraten?«, fragte sie. »Ursprünglich? Das wüsste ich gern. Ich meine, sie ist nur zwei Tage lang unentdeckt geblieben. Und das war volle neun Wochen vor dem Einbruch in den Computer.«
»Mit welcher Legende hast du sie losgeschickt?«
»Mit der für solche Aufträge üblichen. Ledig, ungebunden, keine Angehörigen, keine Wurzeln. Wie du, nur dass du nichts zu spielen brauchtest.«
Ich nickte. Eine attraktive Dreißigjährige, die nicht vermisst werden würde. Eine große Versuchung für Typen wie Angel Doll oder Paulie. Vielleicht sogar unwiderstehlich. Macht Spaß, sie um sich zu haben. Und der Rest ihres Teams war möglicherweise noch schlimmer. Zum Beispiel Kerle wie Harley.
»Vielleicht hat sie nichts verraten«, erklärte ich. »Ist nur verschwunden, weißt du, wie’s Frauen tun. Viele Frauen verschwinden. Vor allem jüngere. Ledige ohne Anhang. Passiert dauernd. Tausende pro Jahr.«
»Aber du hast den Raum entdeckt, in dem sie gefangen gehalten wurde.«
»Alle diese Verschollenen müssen irgendwo sein. Sie sind nur für uns verschollen. Sie selbst wissen, wo sie sind, und die Männer, die sie verschleppt haben, wissen es auch.«
Sie starrte mich an. »Glaubst du, dass es so was ist?«
»Wäre denkbar.«
»Wird sie’s überleben?«
»Weiß ich nicht«, sagte ich. »Hoffentlich.«
»Lebt sie noch?«
Ich nickte. »Ich glaube, dass man sie leben lässt. Weil die Kerle nicht wissen, dass sie ein Federal Agent ist. Sie halten sie nur für eine Frau.«
Macht Spaß, sie um sich zu haben.
»Kannst du Teresa finden, bevor sie ihre Schuhe inspizieren?«
»Darauf kommen sie vielleicht nie«, erwiderte ich. »Sehen die Typen sie sozusagen in einem bestimmten Licht, würde es gewaltiges Umdenken erfordern, sie anders zu betrachten.«
Duffy spielte mit ihrem Kaffeelöffel.
»In einem bestimmten Licht«, wiederholte sie. »Warum sagen wir nicht einfach, was wir meinen?«
»Weil wir das nicht wollen«, antwortete ich.
Sie schwieg eine Weile. Dann sah sie mich an, als sei ihr gerade etwas eingefallen.
»Was ist mit deinen Schuhen?«, erkundigte sie sich.
Ich schüttelte den Kopf.
»Beck hat mir eine Beretta M9 gegeben«, sagte ich. »Sowie er sich bückt, um meine Schuhe zu untersuchen, jage ich ihm eine Kugel in den Kopf.«
»Aber er ist nur ein Geschäftsmann,
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