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Der Janusmann

Der Janusmann

Titel: Der Janusmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lee Child
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verbluten werde.«
    »Und, hat er sich Ihrer Auffassung angeschlossen?«
    Ich nickte. »Er hat geredet wie ein Buch.«
    Sie schwieg wieder. Dann stellte sie mir die erste von zwei Fragen, von denen ich mir später wünschte, ich hätte sie anders beantwortet.
    »Können wir zusammen ausgehen?«, fragte sie.
    Wir saßen in einer düsteren Bar in einer separaten Sitznische. Dominique Kohl sah verdammt attraktiv aus. Ich war damals erst knapp über dreißig und bildete mir ein, für alles noch massenhaft Zeit zu haben.
    »Sie laden mich ein, mit Ihnen auszugehen?«, fragte ich.
    »Ja«, antwortete sie.
    Ich schwieg.
    »Wir haben’s weit gebracht, Baby«, sagte sie. Dann fügte sie für den Fall hinzu, dass ich nicht auf dem Laufenden war, was aktuelle Zigarettenwerbung betraf: »Wir Frauen, meine ich.«
    Ich schwieg.
    »Ich weiß, was ich will«, sagte sie.
    Ich nickte. Das glaubte ich ihr. Und ich war für Gleichberechtigung.
    »Also?«, bohrte sie nach.
    Fragen, von denen ich mir wünschte, ich hätte sie anders beantwortet.
    »Nein«, sagte ich.
    »Warum nicht?«
    »Unprofessionell«, entgegnete ich. »Das sollten Sie lassen.«
    »Warum?«
    »Weil das Ihre Laufbahn mit einem Sternchen versehen würde«, antwortete ich. »Sie sind eine gute Soldatin, die’s nicht weiter als bis zum Sergeant-Major bringen kann, ohne die Offiziersschule zu besuchen. Deshalb werden Sie sie besuchen, glänzend abschneiden und es innerhalb von zehn Jahren bis zum Oberstleutnant bringen. Weil Sie es verdienen. Aber alle werden sagen, das verdankten Sie nur der Tatsache, dass Sie damals in grauer Vorzeit mit Ihrem Kompaniechef geschlafen haben.«
    Sie sagte nichts, winkte nur die Serviererin heran und bestellte zwei Biere. In der Bar wurde es warm, weil immer mehr Gäste kamen. Wir zogen unsere Jacken aus. Ich trug ein olivgrünes T-Shirt, das ziemlich fadenscheinig und ausgewaschen war. Ihr T-Shirt stammte aus einer Boutique. Es war etwas tiefer ausgeschnitten als bei T-Shirts sonst üblich. Auf ihrer gebräunten Haut wirkte der Stoff schneeweiß. Und er war fast durchsichtig. Ich konnte sehen, dass sie nichts darunter anhatte.
    »Das Militärleben ist voller Entbehrungen«, sagte ich – mehr zu mir selbst als zu ihr.
    »Ich werde darüber hinwegkommen«, sagte sie.
    Dann stellte sie mir die zweite Frage, von der ich mir wünschte, ich hätte sie anders beantwortet.
    »Lassen Sie mich ihn verhaften?«, fragte sie.
     
    Zehn Jahre später wachte ich um sechs Uhr morgens allein in Dukes Bett auf. Da sein Zimmer nach vorn hinausführte, konnte ich das Meer nicht sehen. Ich blickte nach Westen, über Amerika hinweg. Auch heute gab es keine Morgensonne. Keine langen Schatten. Nur stumpfes graues Licht auf der Einfahrt, der Mauer und der hinter ihr liegenden Granitlandschaft. Der stürmische Wind blies von See her. Ich stellte mir dunkle Sturmwolken vor, die hinter mir noch weit draußen über dem Atlantik hingen, aber schnell in Richtung Küste zogen. Der fünfzehnte Tag begann grau, kalt und unwirtlich – und würde bestimmt noch schlimmer werden.
    Ich duschte, verzichtete aber darauf, mich zu rasieren. Ich zog schwarze Jeans von Duke und ein frisches Hemd an, schnürte die Schuhe und nahm Sakko und Mantel über den Arm. So ging ich leise in die Küche hinunter. Die Köchin hatte bereits Kaffee gekocht. Sie gab mir einen Becher, ich nickte dankend und setzte mich damit an den Küchentisch. Dann holte sie einen Laib Brot aus dem Gefrierschrank und legte ihn in die Mikrowelle. Ich überlegte mir, dass ich sie irgendwann würde in Sicherheit bringen müssen, bevor es hier gefährlich wurde. Auch Elizabeth und Richard. Der Hausmeister und Beck selbst konnten bleiben, um die Suppe, die sie sich eingebrockt hatten, auszulöffeln.
    Hier in der Küche war das Meer deutlich zu hören. Der Wind heulte leise in den Spalten der äußeren Verandatür.
    Richard kam zehn Minuten nach mir herunter. Seine Haare standen ihm wirr vom Kopf ab, und ich konnte sehen, wo ihm ein Ohr fehlte. Er goss sich Kaffee ein und nahm mir gegenüber Platz. Seine Zwiespältigkeit machte sich wieder bemerkbar. Er schien sich mit dem Gedanken zu tragen, nicht ans College zurückzukehren und den Rest seines Lebens mit seinen Eltern in irgendwelchen Verstecken zu verbringen. Kam seine Mutter davon, ohne angeklagt zu werden, konnten die beiden irgendwo ein neues Leben beginnen, vermutete ich. Je nachdem, wie hart er im Nehmen war, konnte er ins College zurückgehen, ohne mehr als

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