Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Janusmann

Der Janusmann

Titel: Der Janusmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lee Child
Vom Netzwerk:
eine Woche des Semesters zu versäumen. Wenn er das wollte. Und wenn das College nicht zu viel kostete, was es vermutlich tat. Die beiden würden nämlich dieses Haus nur mit dem verlassen, was sie am Leib trugen. Wenn sie’s überhaupt verließen.
    Die Köchin ging hinaus, um im Esszimmer fürs Frühstück zu decken. Während Richard ihr nachsah, betrachtete ich ihn. Dabei wurde ich wieder auf sein fehlendes Ohr aufmerksam, und ein weiteres Stück des Puzzles fiel an seinen Platz.
    »Die Entführung«, sagte ich. »Vor fünf Jahren.«
    Er blieb äußerlich ruhig. Blickte lediglich auf den Tisch, hob dann den Kopf und strich sich das Haar über die Narbe.
    »Wissen Sie, womit Ihr Dad wirklich handelt?«, fragte ich ihn.
    Er nickte. Schwieg.
    »Nicht nur mit Teppichen, stimmt’s?«, fragte ich.
    »Nein«, sagte er. »Nicht nur mit Teppichen.«
    »Was empfinden Sie dabei?«
    »Es gibt Schlimmeres«, meinte er.
    »Möchten Sie mir erzählen, was vor fünf Jahren passiert ist?«, fragte ich.
    Er schüttelte den Kopf. Sah weg.
    »Nein«, sagte er. »Nein, das will ich nicht.«
    »Ich habe mal einen Mann namens Gorowski gekannt«, sagte ich. »Seine vierjährige Tochter ist entführt worden. Nur einen Tag lang. Wie lange waren Sie fort?«
    »Acht Tage«, erwiderte er.
    »Gorowski hat sofort pariert«, sagte ich. »Ein Tag hat ihm gereicht.«
    Richard schwieg.
    »Ihr Vater ist hier nicht der Boss«, sagte ich. Das war keine Frage, sondern eine Feststellung.
    Richard schwieg.
    »Er hat vor fünf Jahren pariert«, fuhr ich fort. »Nachdem Sie acht Tage verschwunden waren. So sehe ich das.«
    Richard schwieg weiter. Ich dachte an Gorowskis Tochter. Sie war jetzt zwölf. Wahrscheinlich hatte sie einen Computer mit Internetanschluss, einen CD-Player und ein Telefon in ihrem Zimmer. Poster an den Wänden. Und wegen etwas, das in der Vergangenheit passiert war, einen kleinen verborgenen Schmerz in ihrem Herzen.
    »Ich brauche keine Einzelheiten«, sagte ich. »Ich will nur, dass Sie mir seinen Namen sagen.«
    »Wessen Namen?«
    »Den des Kerls, der Sie acht Tage lang entführt hat.«
    Richard schüttelte den Kopf.
    »Ich habe den Namen Xavier gehört«, sagte ich. »Irgendwer hat ihn erwähnt.«
    Richard sah weg. Seine Hand berührte die linke Kopfhälfte. Mehr Bestätigung brauchte ich nicht.
    »Ich bin vergewaltigt worden«, sagte er.
    Ich hörte die See, die an die Felsen donnerte.
    »Von Xavier?«
    Er schüttelte wieder den Kopf.
    »Von Paulie«, sagte er. »Er war gerade aus dem Gefängnis gekommen. Hatte noch eine Vorliebe für solche Sachen.«
    Ich machte eine lange Pause.
    »Weiß Ihr Vater das?«
    »Nein.«
    »Ihre Mutter?«
    »Nein.«
    Mir fiel nichts ein, was ich sagen konnte. Auch Richard sprach nicht mehr. Wir saßen uns schweigend gegenüber. Dann kam die Köchin zurück und stellte den Herd an. Sie tat Fett in eine Bratpfanne und begann es zu erhitzen. Bei diesem Geruch wurde mir fast übel.
    »Kommen Sie, wir machen einen Spaziergang«, sagte ich.
    Richard folgte mir nach draußen. Die Luft war bitterkalt, das Tageslicht grau. Der starke Wind wehte uns direkt ins Gesicht.
    »Zu jedem Silberrand gehört eine Wolke«, sagte ich. Ich musste laut reden, um Wind und Brandung zu übertönen. »Vielleicht bekommen Xavier und Paulie eines Tages, was ihnen zusteht, aber dabei wandert Ihr Vater hinter Gitter.«
    Richard nickte. Er hatte Tränen in den Augen. Vielleicht kamen sie aber auch von dem eisigen Wind.
    »Er hat’s verdient«, sagte er. »Ich war acht Tage fort. Einer hätte gereicht. Wie bei diesem Mann, den Sie erwähnt haben.«
    »Gorowski?«
    »Wer auch immer. Der mit dem vierjährigen Mädchen. Glauben Sie, dass sie vergewaltigt worden ist?«
    »Das will ich nicht hoffen.«
    »Ich auch.«
    »Können Sie Auto fahren?«, fragte ich.
    »Ja.«
    »Vielleicht müssen Sie von hier weg«, erklärte ich. »Bald. Sie, Ihre Mutter und die Köchin. Also müssen Sie sich vorbereiten. Für den Augenblick, in dem ich Ihnen sage, dass Sie abhauen müssen.«
    »Wer sind Sie?«
    »Ich bin jemand, der dafür bezahlt wird, Ihren Vater zu beschützen. Vor seinen so genannten Freunden ebenso wie vor seinen Feinden.«
    »Paulie lässt uns nicht durchs Tor.«
    »Er ist nicht mehr lange da.«
    Richard schüttelte den Kopf.
    »Paulie bringt Sie um«, sagte er. »Sie haben keine Vorstellung. Mit Paulie wird niemand fertig. Niemand!«
    »Ich bin mit diesen Kerlen außerhalb des Colleges fertig geworden.«
    Er schüttelte erneut den

Weitere Kostenlose Bücher