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Der Joker

Titel: Der Joker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Zusak Alexandra Ernst
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beeilen.
    Furcht ist die Straße.
    Furcht ist jeder Schritt.
    Die Dunkelheit legt sich mit ihrer ganzen Last auf den Asphalt und ich fange an.
     
     
    Zu rennen.
     
     
    In einem ersten Impuls will ich sofort zu Audrey gehen.
    Ich will so schnell wie möglich bei ihr sein und ihr Problem - was immer es auch sein mag - aus der Welt schaffen. Die Vorstellung, dass ich dazu etwas Unangenehmes anstellen muss, schiebe ich beiseite.

    Beeil dich! , treibe ich mich an, aber dann lässt mich mein Instinkt zögern.
    Ich gehe weiter, ziehe dabei wieder die Karte hervor und betrachte sie.
    Ich schaue mir die Reihenfolge an.
    Ritchie. Marv. Audrey.
    Eine Ahnung tritt vor mich hin, und im Schlepptau hat sie die Gewissheit, dass ich die Reihenfolge einhalten muss. Audrey ist aus irgendeinem Grund die Letzte. Ich muss mit Ritchie anfangen.
    »Ja«, stimme ich laut meinem Gedankengang zu. Eilig laufe ich weiter. In Richtung Bridge Street, zu Ritchies Haus. Rasch überlege ich, wie ich am besten dorthin komme. Meine Füße bewegen sich immer schneller.
    Hetze ich mich nur deshalb so ab, damit ich früher bei Audrey sein kann? , frage ich mich, gebe mir aber keine Antwort.
    Ich konzentriere mich auf Ritchie.
    Während ich unter den Zweigen eines Baums hindurchgehe, sehe ich sein Gesicht vor mir. Ich fege die Blätter und die Vision beiseite. Gleichzeitig glaube ich, seine Stimme zu hören und die ständigen Kommentare, die er während des Kartenspiels von sich gibt. Ich muss an den Spaß denken, den er hatte, als Marv den Türsteher geküsst hat.
    Ritchie , denke ich. Was für eine Botschaft muss ich Ritchie überbringen?
    Die Bridge Street liegt voraus, direkt um die Ecke.
    Mein Puls bekommt einen Anfall und legt an Tempo zu.
    Ich biege um die Ecke und mein Blick fällt sofort auf Ritchies Haus. Neben mir steht eine Frage voller Schrecken und atmet mir ins Gesicht.

    Ich sehe Licht in der Küche und im Wohnzimmer brennen, aber jeder Muskel in meinem Körper wird von einer einzigen Frage bestimmt. Sie weigert sich zu gehen und auch ich bleibe wie angewurzelt stehen.
    Was soll ich jetzt machen? , fragt mich die Frage.
    Alle anderen Aufgaben waren mehr oder weniger einfach, weil ich die Menschen nicht kannte. (Außer meiner Mutter - aber als ich in diesem italienischen Restaurant saß, hatte ich ja keine Ahnung, dass sie es war, die hereinkommen würde.) Also gab es nie einen wirklichen Grund zum Zögern. Ich habe stets einfach abgewartet, bis sich eine Möglichkeit ergab. Aber Ritchie, Marv und Audrey kenne ich, und zwar viel zu gut, als dass ich mich unerkannt vor ihren Häusern herumtreiben könnte. Das wäre nämlich normalerweise das Letzte, was ich tun würde.
    Aber trotzdem denke ich eine volle Minute über diese Möglichkeit nach. Schließlich gehe ich über die Straße, setze mich unter eine alte Eiche und warte.
     
     
    Ich sitze fast eine Stunde da und, um ehrlich zu sein, es passiert nichts Bemerkenswertes. Ritchies Eltern sind wieder aus dem Urlaub zurückgekommen. (Ich habe gesehen, wie seine Mutter das Geschirr spülte.)
    Es wird spät und schon bald ist die Küche der einzig helle Raum im Haus. Überall in der Straße gehen langsam die Lichter aus und bald brennen nur noch die Straßenlaternen.
    Bei den Sanchez’ betritt eine einsame Gestalt die Küche und setzt sich an den Tisch.
    Intuitiv weiß ich, dass es Ritchie ist.
    Einen Moment lang überlege ich, ob ich hineingehen
soll, aber noch bevor ich aufstehen kann, höre ich Schritte auf mich zukommen.
    Kurz darauf stehen zwei Männer vor mir.
    Sie essen Pastete.
    Einer von beiden schaut mich an und spricht mit mir. Er schaut mich mit einer Art vertrauter, gleichgültiger Verachtung an und sagt: »Man hat uns gesagt, dass wir dich hier finden, Ed.« Er schüttelt den Kopf und wirft mir eine Pastete zu, die er vermutlich an einer Tankstelle gekauft hat. Sie fällt zu Boden, und er sagt: »Du bist wirklich unverbesserlich, was?«
    Ich schaue auf. Mir fehlen die Worte.
    »Ja, Ed?« Jetzt spricht der andere. So unwahrscheinlich es auch klingen mag, fällt es mir doch schwer, sie ohne ihre Skimasken wiederzuerkennen.
    »Daryl?«, frage ich.
    »Ja.«
    »Keith?«
    »Korrekt.«
    Daryl setzt sich, hebt die Pastete auf und reicht sie mir. »Um der alten Zeiten willen«, sagt er.
    »Okay«, erwidere ich, immer noch völlig geschockt. »Danke.« Die Erinnerung an ihren letzten Besuch schwappt über mich. Bewegte Gedanken an Blut, Worte und den dreckigen Küchenfußboden. Ich

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