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Der Joker

Titel: Der Joker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Zusak Alexandra Ernst
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sich förmlich in mich zu krallen.
    Ich versuche, ein Gespräch in Gang zu bringen.
    »Also«, sage ich. Jämmerlich, ich weiß.
    »Also was?«
    Ich schlage einen anderen Weg ein. Spiele ein Spiel. »Kennen Sie Daryl und Keith?«, frage ich.
    »Wen?«
    Der Spott, den er mir entgegenwirft, erschreckt mich,
aber ich kämpfe mich weiter. »Sie wissen schon - Daryl und …«
    »Hör mal gut zu, Kumpel, ich hab dich schon verstanden.« Seine Stimme wird noch härter. »Plapper noch ein paar Namen aus und du kommst nicht mehr zu Hause an, klar?«
    Warum , frage ich mich, sind alle Leute, denen ich begegne, entweder gewalttätig oder streitsüchtig - oder beides? Anscheinend spielt es keine Rolle, wie sehr ich mich bemühe; ständig tauchen solche Typen wie der da in meiner Hütte oder in meinem Taxi auf.
    Aus verständlichen Gründen sage ich jetzt nichts mehr. Wir nähern uns meinem Vorort. Ich fahre und versuche - erfolglos -, ein paar weitere Blicke auf meinen Nebenmann zu erhaschen.
    »Bis ganz ans Ende«, sagt er, als wir die Hauptstraße entlangfahren.
    »Runter zum Fluss?«
    »Halt die Klappe. Fahr einfach.«
    An meiner Hütte vorbei.
    An Audreys Haus vorbei.
    Bis zum Fluss.
    »Hier.«
    Ich halte an.
    »Alles klar, danke.«
    »Das macht siebenundzwanzig fünfzig.«
    »Was?«
    Ich muss meinen Mut zusammennehmen, um den Mund aufzumachen. Der Kerl sieht so aus, als wollte er mich umbringen. »Ich sagte, das macht siebenundzwanzig Dollar und fünfzig Cents.«
    »Ich bezahle nicht.«

    Ich glaube ihm aufs Wort.
    Ich glaube ihm, denn er sitzt einfach nur da und seine Augen werden groß und rund und schwarz mitten in all dem Gelb. Dieser Mann wird nicht bezahlen. Diskussion beendet. Jedes weitere Wort ist überflüssig, aber ich versuche es trotzdem.
    »Warum nicht?«, frage ich.
    »Ich habe kein Geld.«
    »Dann nehme ich Ihre Jacke.«
    Er rückt näher, tut freundlich, zum ersten Mal. »Die hatten Recht - du bist einer von der hartnäckigen Sorte, nicht wahr?«
    »Wer hat Recht? Wen meinen Sie?«
    Aber ich bekomme keine Antwort.
    Seine Augen werden wild. Er öffnet die Beifahrertür und springt hinaus.
    Pause.
    Ich fühle mich in dem Augenblick gefangen, dann stürze ich ebenfalls aus dem Taxi und renne ihm nach. Auf den Fluss zu.
     
     
    Nasses Gras und Worte.
    »Kommen Sie sofort zurück!«
    Seltsame Gedanken.
    Gedanken wie: Kommen Sie sofort zurück? Ed, das ist so gewöhnlich. Das brüllt jeder Taxifahrer in einer solchen Situation. Du musst dir etwas Besseres einfallen lassen, etwas Neues. Es ist ein Wunder, dass du nicht gebrüllt hast: Komm sofort zurück, du Arschloch!
    Meine Beinmuskeln spannen sich an.

    Luft schießt an meinem Mund vorbei, scheint aber nicht den Weg hinein zu finden.
    Ich renne.
    Ich renne und merke, dass ich dieses Gefühl schon einmal hatte - diese Übelkeit im Magen.
    Das war, als ich noch klein war und meinen jüngeren Bruder Tommy jagte. Der heute in der Stadt lebt, mit einem besseren Leben als ich und einem besseren Geschmack in Sachen Beistelltische. Natürlich war er schneller als ich, selbst damals schon. Besser. Das war er schon immer und es war einfach nur peinlich. Es war eine Schande, einen jüngeren Bruder zu haben, der schneller war, stärker, klüger, besser. Bei allem. Aber so war es nun mal.
    Wir sind oft am Fluss angeln gewesen, an einer Stelle flussaufwärts, und wir haben uns Rennen geliefert, wer zuerst da sein würde. Nicht ein einziges Mal habe ich gewonnen. Natürlich habe ich mir eingeredet, dass ich es könnte, wenn ich nur wollte.
    Ein einziges Mal.
    Wollte ich.
    Und habe verloren.
    Auch Tommy hat sich an diesem Tag besonders angestrengt und mich um mindestens fünf Meter geschlagen.
    Ich war elf.
    Er war zehn.
    Fast ein Jahrzehnt später bin ich wieder hier und jage wieder jemanden, der schneller ist als ich, stärker, besser.
    Nach einem knappen Kilometer bricht mein Atem zusammen.
    Er schaut zurück.
    Meine Knie geben nach.

    Ich bleibe stehen.
    Es ist vorbei.
    Ein Lachen stolpert von seinen Lippen, etwa zwanzig Meter vor mir.
    »So ein Pech, Ed.« Dann wendet er sich ab und rennt weiter. Er ist weg.
    Ich schaue zu, wie seine Beine in der Dunkelheit verschwinden, stehe nur da und ziehe mich an meinen Erinnerungen hoch.
    Ein dunkler Wind schlängelt sich durch die Bäume.
    Der Himmel ist nervös. Schwarz und blau.
    Mein Herz applaudiert in meinen Ohren, zunächst wie eine tobende Menge, dann langsam und langsamer, bis nur noch ein einzelnes Händepaar klatscht,

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