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Der Joker

Titel: Der Joker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Zusak Alexandra Ernst
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Augenblick fällt der Leichnam vor mir zu Boden und ich wache auf.
     
     
    Jetzt liegt wieder der Türsteher vor meinen Füßen, und die staubige Luft befindet sich in meinem Wohnzimmer, gelb gefärbt von der aufgehenden Sonne vor dem Fenster.
    Der Traum springt mich an, als ich ein paar Sekunden, nachdem ich aufgewacht bin, die Augen öffne und die Frau, die Worte und den Titel wieder vor mir sehe. Ich fühle, wie sie vor mir zu Boden fällt, und höre, was sie zu mir sagt: »Erkennst du die Worte jetzt, Ed?«
    »Dunkles Haus«, flüstere ich.
    Ich weiß, dass ich die Worte schon einmal gehört habe. Ich weiß, dass ich einmal ein Gedicht mit dem Titel gelesen habe. Und zwar in der Schule, bei dieser depressiven Lehrerin. Sie liebte dieses Gedicht und ich erinnere mich selbst jetzt noch an einige Passagen. An Worte wie »Kieselgerüche, Rübenkammern«, »im Gedärm der Wurzel« und an die Beschreibung, wie die Erzählerin, einem Insekt gleich, das Haus Wabe für Wabe aus zerkautem grauen Papier und Leim zusammenbaut.

    Dunkles Haus.
    Dunkles Haus.
    Als es mir einfällt, stehe ich mit einem Ruck auf. Ich falle fast über den Türsteher, der sich nicht im Mindesten beeindrucken lässt. Er wirft mir nur einen leicht genervten Blick zu. Du hast mich geweckt, Kumpel.
    » Dunkles Haus«, sage ich zu ihm.
    Na und?
    Ich wiederhole den Titel, und diesmal packe ich spielerisch seine Schnauze, weil ich jetzt die Antwort auf das Pik-Ass gefunden habe. Zumindest bin ich auf dem richtigen Weg.
    Das Gedicht »Dunkles Haus« wurde von einer Frau geschrieben, die Selbstmord beging und - da bin ich mir ziemlich sicher - die Sylvia Plath hieß.
    Ich fische die Karte aus der Sofaspalte heraus und sehe ihren Namen wieder vor mir, der dritte auf der Liste. Es sind Schriftsteller , denke ich. Es sind alles Schriftsteller . Graham Greene, Morris West und Sylvia Plath. Es überrascht mich, dass ich von den ersten beiden noch nie etwas gelesen habe, aber andererseits kann man nicht jeden kennen, der irgendwann einmal ein Buch geschrieben hat. Aber was Sylvia betrifft, bin ich mir ganz sicher. Wir nennen einander bereits beim Vornamen, sie und ich. So stolz bin ich über meine Entdeckung.
    Eine Zeit lang genieße ich dieses Glücksgefühl, dieses Gefühl, ein großes Rätsel durch puren Zufall gelöst zu haben.
    Mein Körper fühlt sich mittlerweile völlig steif an, und meine Rippen bringen mich um, aber immerhin bin ich noch in der Lage, Müsli mit einer Menge Zucker und Milch zu
essen, wobei ich mir über die Frische der Milch nicht ganz im Klaren bin.
    So gegen halb acht fällt mir auf, dass ich ja nur einen Teil des Problems beseitigt habe. Ich habe immer noch keine Ahnung, wohin ich gehen und wen ich besuchen muss.
    Ich fange in der Bücherei an , denke ich. Schade, dass heute Sonntag ist. So früh am Morgen hat sie noch nicht geöffnet.
     
     
    Audrey kommt mich besuchen.
    Wir schauen uns einen Film an, den sie in höchsten Tönen lobt.
    Er ist gut.
    Ich verkneife es mir zu fragen, wo sie letzte Nacht gewesen ist.
     
     
    Ich erzähle ihr von dem Pik-Ass, von den Namen und dass ich als Nächstes in die Bücherei gehen werde, noch heute Nachmittag. Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie sonntags zwischen zwölf und vier geöffnet hat.
    Als sie den Kaffee trinkt, den ich gekocht habe, betrachte ich die Röte ihrer Lippen und wünsche mir, dass ich einfach aufstehen, zu ihr gehen und sie küssen könnte. Ich möchte die Körperlichkeit dieser Lippen spüren und ihre Weichheit an meinen eigenen. Ich möchte in sie hineinatmen, möchte mit ihr atmen. Ich möchte mit meinen Zähnen ihren Hals streifen dürfen, mit meinen Fingern ihren Rücken berühren und sie durch das herrliche, zarte Gelb ihres Haars gleiten lassen.
    Ehrlich.
    Ich weiß auch nicht, was heute Morgen mit mir los ist.

    Doch dann verstehe ich, warum ich mich so fühle. Ich verdiene etwas. Ich laufe herum und rücke das Leben anderer Leute gerade, selbst wenn es nur für einen oder zwei Augenblicke ist. Ich verletze Menschen, die verletzt werden müssen, wo doch das Verursachen von Schmerz allem widerspricht, was mir zu Eigen ist.
    Ich habe es mir verdient , denke ich, nur diese eine Kleinigkeit. Audrey kann mich doch wenigstens für eine Sekunde
    lieben. Aber ich weiß es besser. Ich weiß, ohne den Schatten eines Zweifels, dass nichts geschehen wird. Sie wird mich nicht küssen. Sie wird mich nicht anfassen, und wenn, dann nur zufällig. Ich laufe quer durch die Stadt,

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