Der Judas-Code: Roman
verdammten Viecher die Tinte nicht mehr halten.«
Rakao legte Lisa über die Reling und drückte auf ihren Rücken. Ein Wasserschwall kam aus Nase und Mund.
Sie hob den Arm und schlug kraftlos nach ihm.
Also war sie am Leben.
Der Pirat zerrte sie herum und ließ sie auf den Boden fallen. Er blickte zum Dschungel herüber, dann richtete er den Blick auf die Bergspitzen. Ständig zuckten Blitze über die Inselberge hinweg. Der böige Wind peitschte den Regen über die Lagune.
Rakao hob den Arm und schwenkte ihn in weitem Bogen.
Das Speedboot wendete in einer Gischtwolke und raste davon, gefolgt von einem mächtigen Kielwasser. Es kehrte zum Schiff zurück.
Mit Lisa an Bord.
Wenigstens war sie am Leben.
»Weshalb ziehen sie sich zurück?«, murmelte Susan.
Monk sah sie an. Im dunklen Wald ging ein fahles Leuchten von ihrem Gesicht und ihren Händen aus, kaum zu erkennen, aber nicht zu leugnen. Wie Mondschein, der durch eine dichte Wolkenschicht fiel.
»Hier können wir nirgends hin«, erwiderte Ryder erbittert. »Wenn es hell wird, werden sie uns jagen.«
Monk zeigte tiefer in den Wald hinein. »Dann sollten wir machen, dass wir von hier verschwinden.«
Mit Susan an seiner Seite drang Monk in den höher gelegenen Dschungel vor. Ein letztes Mal blickte er sich zur Lagune um. »Was waren das für Tiere?«
»Raubkalmare«, murmelte Susan. »Einige biolumineszierende Kalmare jagen gemeinsam. Schwärme von Humboldt-Kalmaren haben im Pazifik schon Menschen angegriffen und getötet. Aber
es gibt auch größere Exemplare wie zum Beispiel Taningia danae. Offenbar ist diese Unterart hier in der Lagune zu Hause. Zum Fressen steigen sie aus der Tiefe auf. Bei Nacht funktioniert die Verständigung mittels Leuchtsignalen am besten.«
Monk dachte an die Hexe und die Wasserdämonen, die der Pirat erwähnt hatte. Diese Geschichten mussten eine reale Grundlage haben. Und noch an etwas anderes musste er denken.
Er blickte zu den schroffen Klippen auf, die sich vom dunklen Himmel abhoben. Trotz des ständigen Donnergrollens waren Trommeln zu hören.
Kannibalen.
»Was nun?«, fragte Ryder.
Monk übernahm die Führung. »Es wird Zeit, unsere neuen Nachbarn kennenzulernen... und ihnen in die Kochtöpfe zu schauen.«
21:12
Lisa stand auf dem Tenderdock und wurde gestützt von einem der Piraten. Sie war zu schwach, um sich zu wehren, und zu müde, um sich darüber aufzuregen. Nass bis auf die Haut und aus mehreren Wunden blutend, ergab sie sich ihrem Schicksal.
Rakao stritt gerade mit Devesh.
Auf Malaiisch.
Vermutlich ging es darum, dass der tätowierte Pirat Susan Tunis nicht in den Dschungel gefolgt war. Lisa verstand nur ein einziges Wort.
Kannibalen.
Hinter den Männern stand Surina, bekleidet mit einem Sari und vor dem Regen geschützt, die Arme vor der Brust verschränkt und geduldig wartend. Sie fixierte Lisa. Ihr Blick war nicht kalt - das wäre zumindest eine Art Gefühlsregung gewesen. Surinas Augen waren vollkommen leer.
Schließlich wandte Devesh sich um und zeigte auf Lisa. Damit seine Gefangene ihn ebenfalls verstehen konnte, sagte er auf Englisch: »Erschießt sie. Jetzt gleich.«
Lisa spannte sich in den Armen des Piraten an. Sie hustete.
Um ihr Leben zu retten, bot sie dem Gildenwissenschaftler das einzige Unterpfand an, über das sie verfügte.
»Devesh«, sagte sie bestimmt. »Der Judas-Stamm. Ich weiß jetzt, wie das Virus wirkt.«
11
Glasscherben
6. Juli, 13:55
Istanbul
Der Schock dehnte das Geschehen zu einer atemlosen, lautlosen Zeitlupe.
Von der zweiten Fensterreihe der Hagia Sophia aus beobachtete Gray, wie Balthazar Pinossos Hinterkopf in einer Wolke aus Blut und Knochensplittern explodierte. Von der Wucht des Treffers knickte er in der Hüfte ein. Er breitete die Arme aus. Das Handy, das er sich eben noch ans Ohr gehalten hatte, flog in hohem Bogen davon, prallte aufs Pflaster und schlitterte weg.
Dann brach der Hüne zusammen.
Vigor schnappte an Grays Seite nach Luft und beendete die Erstarrung. »Du meine Güte... nein...«
Das Echo des Schusses verhallte, auf dem Vorplatz wurde geschrien.
Gray wich zurück und atmete tief durch, während ihm allmählich die Folgen klar wurden. Wenn Balthazar erschossen worden war ...
»Nasser hat über ihn Bescheid gewusst«, vollendete Vigor Grays schwerfälligen Gedankengang. Benommen stützte sich der Monsignore am Fenstersims ab. »Nasser hat gewusst, dass Balthazar bei uns ist. Einer seiner verfluchten Scharfschützen hat ihn
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