Der Judas-Code: Roman
klackerndem Spazierstock in Lisas Kabine.
Lisa, die mit einer Infusionskanüle im Arm im Bett lag, wusste, dass es jetzt mit den Ausflüchten ein Ende hatte. Als man sie zuvor vom Tenderdock aufs Schiff gehoben hatte, war sie in den Armen ihres Bewachers ohnmächtig geworden. Da er nicht damit gerechnet hatte, war er mit ihr zusammen aufs Deck gestürzt.
Lisa hatte sich dabei die Lippe aufgeschlagen, doch das reichte noch nicht. Mit der aufgeschlitzten Wade, den zahlreichen Wunden, die ihr der Kalmar mit seinen Dornen zugefügt hatte, und der vom vielen Wasser, das sie verschluckt hatte, noch mitgenommenen Lunge war es ihr nicht schwergefallen, einen hinfälligen Eindruck zu machen. Allein das Adrenalin hatte sie noch aufrecht gehalten.
Doch schließlich war sie zusammengebrochen und hatte sogar kurzzeitig das Bewusstsein verloren.
Daraufhin hatte man sie eilends in die Wissenschaftlersuite gebracht, und die Schiffsärzte und ein Mediziner der WHO hatten sie behandelt. Man hatte ihr Bein gesäubert und genäht und auch die Risswunden versorgt. Man hatte ihr eine Infusion mit Antibiotika und Schmerzmitteln verabreicht. Jetzt lag sie streng bewacht in ihrer alten Kabine, einer Innenkabine ohne Balkon und Fenster. Ihr Körper war ein Flickenteppich von Verbänden und Pflastern.
So viel Fürsorge ließ man ihr nicht aus Barmherzigkeit oder Mitleid angedeihen. Vielmehr diente die Behandlung einem einzigen
Zweck: Sie sollte sicherstellen, dass sie das Versprechen einlöste, das sie Devesh an Deck gegeben hatte.
Der judas-Stamm. Ich weiß jetzt, wie das Virus wirkt.
Wegen dieser Bemerkung wollte Devesh sie am Leben erhalten, zumal Susan Tunis sich auf die sturmumtoste Insel geflüchtet hatte. Devesh brauchte Lisa. Und deshalb nutzte sie ihren Vorteil und schindete Zeit. Sie hatte Devesh etwas zu tun gegeben und seinen klinischen Labors verschiedene Aufträge erteilt.
Ihre Begründung: Sie wollte ihre Hypothese testen und bestätigen.
Endlos durfte sich das aber nicht hinziehen.
»So«, sagte Devesh. »Die Ergebnisse werden im Moment gerade zusammengestellt. Es ist an der Zeit, dass wir unsere kleine Unterhaltung von vorhin fortsetzen. Wenn mir Ihr Gesprächsbeitrag nicht gefällt, werden wir die medizinische Versorgung wieder umkehren. Ich könnte mir gut vorstellen, dass Sie rasch einlenken werden, wenn wir erst mal anfangen, Ihre Wunden mit Klammern zu öffnen.«
Devesh drehte sich auf dem Absatz um und winkte eine Krankenschwester herbei.
Die Infusionskanüle wurde entfernt und der Einstich mit einem Pflaster abgedeckt.
Lisa setzte sich auf. Ihr wurde kurz schwummrig, dann sah sie wieder scharf.
Devesh, ganz der Gentleman, hielt einen dicken Morgenmantel in der Hand. Lisa, die nur mit einem dünnen Nachthemd bekleidet war, erhob sich. Sie ließ sich von ihm in den Morgenmantel helfen und knotete selbst den Gürtel zu.
»Bitte folgen Sie mir, Dr. Cummings.« Devesh ging zur Tür.
Barfuß folgte Lisa ihm auf den Gang. Devesh wandte sich zum Labor für ansteckende Krankheiten.
Die Tür stand offen. Das Geräusch von Stimmen drang heraus.
Als Lisa hinter Devesh in den Raum trat, machte sie auf Anhieb zwei bekannte Personen aus: den Bakteriologen Benjamin Miller und ihren Vertrauten, den niederländischen Toxikologen Henri Barnhardt. Die beiden Mediziner saßen an der einen Seite eines schmalen Tisches.
Lisa schaute sich um. Die Suite war zur Hälfte leer geräumt worden. Die Möbel hatte man durch Laborausrüstung ersetzt, darunter viele Geräte, die Monk gehörten: Fluoreszenzmikroskope, Szintillationszähler und Auto-Gamma-Spektrometer, CO 2 -Inkubatoren, Kühlzentrifugen, Mikrotiter-ELISA-Testsätze und an der Wand ein kleiner Fraktionssammler.
Manche Universitäten waren schlechter ausgestattet.
Dr. Eloise Chenier, die Gildenvirologin und Leiterin des Labors für ansteckende Krankheiten, stand hinter dem Tisch, bekleidet mit einem knöchellangen Laborkittel. Sie war Ende fünfzig und wirkte mit ihrem grau melierten Haar und der Lesebrille, die ihr vor der Brust baumelte, wie eine verschrobene Schullehrerin.
Die Virologin zeigte gerade auf zwei hinter ihr stehende Rechner. Über den einen Monitor scrollten Daten, auf dem anderen war eine verwirrende Vielzahl überlappender Fenster zu sehen. Chénier schloss mit starkem französischem Akzent gerade eine Erklärung ab.
»Wir haben die Hirnflüssigkeit mit verschiedenen Phosphatpuffern gewaschen, mit Glutaraldehyd fixiert und anschließend
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