Der Judas-Code: Roman
zentrifugiert. Auf diese Weise haben wir eine ausgezeichnete Virenprobe erhalten.«
Chenier bemerkte die Neuankömmlinge und winkte sie zum Tisch.
Devesh trat neben seine Kollegin, während Lisa auf einem Hocker neben Henri Platz nahm. Ihr Freund legte ihr beruhigend die Hand aufs Knie und musterte sie fragend. Alles in Ordnung?
Lisa nickte, froh darüber, wieder sitzen zu können.
Devesh wandte sich Lisa zu. »Wir haben die von Ihnen gewünschten Tests abgeschlossen, Dr. Cummings. Hätten Sie die Freundlichkeit, uns jetzt zu erklären, was Sie damit bezweckt haben?«
Er durchbohrte sie mit seinem vorwurfsvollen Blick.
Lisa atmete tief durch. Sie hatte den Moment so lange hinausgezögert, wie es ging. Ihr Überleben hing jetzt davon ab, dass sie die Wahrheit sagte. Sie konnte nur hoffen, dass ihr Einfallsreichtum ihren Verrat wettmachen würde.
Sie dachte an Deveshs erste Lektion: Mach dich nützlich.
Mit bedächtigen Worten berichtete Lisa von der Entdeckung des Netzhautleuchtens in Susans Augen. Devesh reagierte mit Skepsis.
Hilfesuchend wandte sie sich an Henri. »Haben Sie mit der Gehirnflüssigkeit eine Fluoreszenzmessung durchgeführt?«
»Ja. Die Probe zeigte eine schwache Fluoreszenz.«
Chenier pflichtete ihm bei. »Ich habe die Probe zentrifugiert. Das Bakterienpellet hat geleuchtet. Es handelte sich eindeutig um Cyanobakterien.«
Miller, der Bakteriologe, nickte.
Deveshs Interesse war geweckt. »Und daraus haben Sie geschlossen, dass die Bakterien ins Gehirn gewandert und über den Sehnerv in die Augenflüssigkeit gelangt sind. Deshalb haben Sie eine weitere Lumbalpunktion vornehmen lassen.«
Lisa nickte. »Wie ich sehe, ist Dr. Pollum nicht anwesend. Hat er die Proteinuntersuchung der Virenhüllen durchgeführt?«
Auch diesen Test hatte Lisa angeordnet. Eigentlich war er unnötig, hatte das Labor aber ein paar Stunden lang beschäftigt.
»Einen Moment«, sagte Chenier. »Die Ergebnisse liegen vor.« Sie trat zu einem der Monitore und schloss ein Fenster nach dem anderen. »Es dürfte Sie interessieren, dass wir das Virus aufgrund von Gentests der Familie der Bunyaviren zuordnen konnten.«
Als Lisa die Augen zusammenkniff, erklärte Henri: »Darüber haben wir gerade eben gesprochen. Bunyaviren infizieren im Allgemeinen Vögel und Säugetiere und verursachen hämorrhagisches Fieber, werden aber normalerweise von Gliederfüßern übertragen. Also von Fliegen, Zecken und Mücken.«
Er schob Lisa ein Notizbuch zu.
Sie betrachtete die aufgeschlagenen Seiten. Henri hatte den Infektionsweg in Diagrammform dargestellt.
Henri tippte auf die Mitte des Diagramms. »Insekten nehmen bei der Verbreitung der Krankheit eine Schlüsselrolle ein. Bunyaviren werden nur selten von Mensch zu Mensch übertragen.«
Lisa massierte sich die Schläfen. »Beim Judas-Stamm sieht es anders aus.« Sie nahm einen Stift und änderte das Schema. »Die Krankheit wird nicht von Insekten, sondern von Bakterien übertragen.«
Henri runzelte die Stirn. »Ja, aber warum...?«
Plötzlich knallten Schüsse. Alle schreckten zusammen.
Devesh ließ den Spazierstock fallen. Fluchend hob er ihn auf und wandte sich zur Tür. »Sie bleiben hier.«
Weitere Schüsse wurden abgefeuert, gefolgt von gutturalen Schreien.
Lisa stand auf. Was ging da vor?
01:24
Devesh nahm zwei Wachposten aus dem Wissenschaftlertrakt mit und eilte zum Aufzugposten auf dem Mitteldeck. Hin und wieder wurde aus Automatikwaffen gefeuert, deren Schüsse in der Enge so laut wie Kanonenschüsse dröhnten.
In den Pausen waren Schmerzensschreie zu hören.
Als der Posten in Sicht kam, wurde Devesh, der hinter seinen Leibwächtern herrannte, vorsichtiger. Der Aufzug wurde von sechs Mann bewacht. Als der Anführer, ein hoch gewachsener Somali, Devesh bemerkte, kam er ihm entgegen.
Auf Malaiisch meldete er: »Sir, ein Dutzend Patienten sind aus der hinteren Krankenstation ausgebrochen. Sie haben uns angegriffen.«
Der Anführer nickte zu einem der Wachposten hin, der an der Wand auf dem Boden saß und sich den blutenden Arm hielt. Den Ärmel hatte er hochgekrempelt, sodass man die tiefe Bisswunde sah.
Devesh trat einen Schritt vor und zeigte auf den Verwundeten. »Schafft ihn in Quarantäne.«
Hinter dem Posten führte ein Gang bis zum Heck. Einige Türen
standen offen. Weiter hinten lagen ein paar Tote am Boden, von Kugeln durchsiebt. Ihr Blut sickerte in den Teppich. Die beiden nächsten Personen - eine nackte, korpulente Frau und ein Teenager mit
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