Der Judas-Code: Roman
Ein Jahr später aber lebten die meisten Dorfbewohner noch. Genetische Studien lieferten die Erklärung. Bei den Bewohnern von Eyam war eine seltene Mutation aufgetreten. In einem Gen namens Delta 32. Dieser gutartige Defekt wurde weitervererbt, und da in diesem abgelegenen Dorf Inzucht an der Tagesordnung war, besaß ein Gutteil der Einwohnerschaft den Defekt. Als die Pest ausbrach, hat diese kleine Mutation die Dorfbewohner gerettet. Sie waren immun.«
Devesh ergriff das Wort. »Wollen Sie damit sagen, unsere Patientin sei Trägerin eines Delta 32 entsprechenden Gens, das gegen den Judas-Stamm immunisiert? Eines zufällig gebildeten Proteins, welches die Trans-Form des Virus enzymatisch in die Cis-Form umgewandelt hat?«
»Vielleicht war das ja gar kein Zufall«, murmelte Lisa. Diese Frage beschäftigte sie seit der Entdeckung des veränderten Virus. »Nur ein kleiner Prozentsatz unserer DNA wird tatsächlich genutzt. Nämlich etwa drei Prozent. Die übrigen siebenundneunzig Prozent gelten als genetischer Ausschuss. Diese Gene codieren keine Proteine. Aber vielleicht weist die sogenannte Junk-DNA ja eine bemerkenswerte Ähnlichkeit mit dem Virencode auf. Die gegenwärtige Lehrmeinung besagt, diese Gensequenzen könnten
eine Schutzfunktion haben und dazu beitragen, uns vor zukünftigen Krankheiten zu schützen.«
Während Lisa fortfuhr, dachte sie an Susans Freund, der überfallen und aufgefressen worden war. »Wie zum Beispiel vor Kannibalismus.«
Diese Bemerkung brachte ihr die ungeteilte Aufmerksamkeit der Anwesenden ein.
Lisa fuhr fort: »Weltweit durchgeführte Untersuchungen an genetischen Markern haben gezeigt, dass die meisten Menschen Gene besitzen, die gegen Krankheiten schützen, die nur durch den Verzehr von Menschenfleisch übertragen werden. Daraus folgt, dass unsere Vorfahren ausnahmslos Kannibalen waren. Vielleicht besitzt Susan einen solchen genetischen Marker, der ihr Gehirn vor einem Befall durch das Judas-Virus schützt. Sozusagen ein Relikt aus unserer langen genetischen Geschichte. Etwas, das aus unserer fernen kollektiven Vergangenheit stammt.«
»Ihre Hypothese ist so reizvoll wie ungewöhnlich, Dr. Cummings.« Devesh wippte sichtlich erregt auf den Fußballen. »Aber ob die Transformation zufällig erfolgt ist oder durch einen genetischen Marker aus der Vergangenheit ausgelöst wurde, darauf kommt es im Grunde nicht an. Jetzt, da wir über das neue Virus Bescheid wissen, können wir ein Heilmittel herstellen!«
Chenier machte einen weniger zuversichtlichen Eindruck. »Möglicherweise«, betonte sie. »Das erfordert weitere Forschungsarbeit. Zum Glück verfügen wir über eine ganze Schiffsladung Patienten, an denen wir potenzielle Heilmittel testen können. Zunächst aber benötigen wir mehr von diesem Cis-Virus.« Sie blickte Devesh vielsagend an.
»Keine Sorge«, sagte er. »Rakao und seine Männer werden Susan Tunis und die anderen Flüchtlinge in Kürze wieder eingefangen haben. Und jetzt, da das geklärt ist...«
Devesh wandte sich Lisa zu. »Es wird Zeit, uns mit Ihrer Bestrafung zu befassen.«
Wie aufs Stichwort trat eine Frau mit einer Arzttasche vor.
Das lange schwarze Haar hatte sie wieder zu einem Zopf geflochten.
Surina.
03:14
Monk folgte dem nackten Hinterteil eines Kannibalen. Ein Dutzend Stammesleute kletterten vor ihm den steilen Serpentinenweg hoch. Weitere vierzig Männer folgten Monk.
Seine Kannibalenstreitmacht.
Es goss in Strömen. Zumindest hatte der Wind nachgelassen; nur noch gelegentlich jagte eine Bö über die schroffen Bergspitzen. Monk hatte den Zeitpunkt des Aufstiegs so gewählt, dass das Auge des Sturms gerade über die Insel hinwegzog. Das Warten war qualvoll gewesen, doch er hoffte, seine Geduld würde sich auszahlen.
Er kletterte weiter. Obwohl der tief in den Fels eingeschnittene Pfad gut geschützt war, mussten sie auf dem schlüpfrigen Untergrund bisweilen auf allen vieren kriechen.
Monk blickte sich um.
Ryder und Jessie waren unmittelbar hinter ihm, dann folgten mit Federn, Muscheln, Rinde, Vogelkrallen und Knochen geschmückte Eingeborene.
Eine Menge Knochen.
Seine bunt zusammengewürfelte Einsatztruppe war mit Kurzspeeren, Bogen aus Baumschösslingen und geschärften Stöcken bewaffnet. Die Hälfte der Krieger hatte jedoch auch Gewehre und ein paar alte Automatikwaffen dabei - russische AK-47, amerikanische M16. Die Patronengurte hatten sie sich umgeschnallt. Offenbar hatten die Kannibalen von den Piraten, mit denen sie sich die
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