Der Judas-Code: Roman
lachte einmal scharf auf. »Ach, nein? Wie schade. Wenn sie Sie ranließe, hätten Sie wenigstens was von ihr.«
Seichan ließ Grays Hand los. »Fick dich, Amen.«
»Das ist vorbei, Seichan, seit ich dich aus meinem Bett rausgeworfen habe.« Nasser wandte sich Gray zu. »Haben Sie das gewusst? Dass wir mal ein Paar waren?«
Gray musterte Seichan von der Seite. Nasser log bestimmt. Wie hätte sie mit diesem Schwein, das soeben angeordnet hatte, seine Mutter zu foltern, ins Bett gehen können? Allein schon bei dem Gedanken kam ihm die Galle hoch.
Seichan aber wich seinem Blick aus und funkelte Nasser an. Sie ballte die Hand auf ihrem Knie zur Faust.
»Aber das ist alles Vergangenheit«, sagte Nasser. »Dieses ehrgeizige Miststück. Wir haben beide darum gewetteifert, in der Gildenhierarchie die nächste Stufe zu erklimmen. Die letzte Sprosse vor der Spitze. Aber es kam zu Meinungsverschiedenheiten. Darüber, wie man Sie anwerben sollte.«
Gray schluckte. »Was zum Teufel soll das?«
»Seichan wollte, dass wir Sie mit ihren Reizen ködern und dazu bewegen, freiwillig mit uns zu kooperieren und der Gilde dabei zu helfen, Marcos historische Spur zu verfolgen. Ich hingegen hielt eine direkte Vorgehensweise für angebracht. Blutigen Zwang. Ganz nach Männerart. Als die Gilde ihren Plan verwarf, versuchte Seichan, die Angelegenheit selbst in die Hand zu nehmen. Sie hat den venezianischen Museumskurator ermordet, den Obelisken gestohlen und ist in die Vereinigten Staaten geflüchtet.«
Seichan verschränkte die Arme und funkelte Nasser voller Abscheu an. »Und du bist immer noch sauer, weil ich dir zuvorgekommen bin. Schon wieder.«
Gray musterte Seichan forschend.
Dieses ganze Gerede von wegen, man müsse die Welt retten... war das etwa gelogen gewesen?
»Daraufhin bin ich ihr in die Staaten gefolgt«, fuhr Nasser fort. »Ich wusste, wohin sie sich wenden würde. Es war ein Kinderspiel, sie in eine Falle zu locken.«
»Allerdings ist es dir nicht gelungen, mich zu töten«, höhnte Seichan. »Ein weiterer Beleg für deine Unfähigkeit.«
Er kniff Daumen und Zeigefinger zusammen. »Um Haaresbreite.« Er senkte den Arm. »Aber du hast deine ursprüngliche
Strategie beibehalten, nicht wahr, Seichan? Du hast Commander Pierce aufs Korn genommen. Inzwischen ist er für dich vielleicht sogar ein bisschen mehr als nur ein Verbündeter. Du hast gewusst, dass er dir helfen würde. Du und Gray gegen den Rest der Welt!« Er lachte heiser. »Oder spielst du noch immer mit ihm, Seichan?«
Seichan schnaubte nur.
Nasser wandte sich Gray zu. »Sie ist vor allem ehrgeizig. Völlig skrupellos. Sie würde über ihre sterbende Großmutter gehen, wenn sie in der Hierarchie aufsteigen könnte.«
Seichan beugte sich vor und funkelte ihn an. »Wenigstens habe ich nicht tatenlos zugeschaut, wie meine Mutter vor meinen Augen ermordet wurde.«
Nassers Miene verhärtete sich.
»Feigling«, murmelte Seichan und lehnte sich mit einem zufriedenen Grinsen zurück. »Du hast sogar deinen Vater hinterrücks ermordet. Weil du ihm nicht ins Gesicht sehen konntest.«
Nasser warf sich auf sie und fasste ihr an die Kehle.
Instinktiv schlug Gray Nassers Arm weg.
Das hätte er vielleicht besser unterlassen.
Nasser aber beherrschte sich und funkelte Gray nur hasserfüllt an. »Man sollte wissen, mit wem man sich einlässt«, sagte er grimmig. »Und Sie sollten aufpassen, was Sie dem Miststück sagen.«
Die Streithähne saßen schweigend in ihren Ecken. Gray beäugte aus dem Augenwinkel Seichan. Ungeachtet des lautstarken Wortwechsels hatte sie Nassers Äußerungen nicht widersprochen. Gray ließ noch einmal die vergangenen Tage Revue passieren, doch mit dröhnendem Schädel und der Angst in seinem Bauch hatte er Mühe, sich zu konzentrieren.
Gleichwohl gab es Fakten, die er nicht so einfach abtun konnte. Seichan hatte den venezianischen Museumsleiter getötet, um den Obelisken in ihren Besitz zu bringen. Sie hatte ihn kaltblütig ermordet. Und als sie sich vor Jahren zum ersten Mal begegnet waren, hatte sie auch ihn töten wollen.
Nassers Worte hallten in seinem Kopf wider.
Man sollte wissen, mit wem man sich einlässt...
Gray wusste es nicht.
Letztendlich wusste er überhaupt nicht mehr, wem er glauben und wem er vertrauen sollte.
Gray wusste nur eines. Von jetzt an durfte er sich keine Irrtümer mehr erlauben. Jeder Fehler gefährdete nicht nur sein eigenes Leben.
19:05
Harriet wehrte sich schluchzend. »Bitte nicht...«
Der Mann
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