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Der Judas-Code: Roman

Titel: Der Judas-Code: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Rollins , Norbert Stöbe
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erkennen, dass der Tempel ein dreidimensionales Labyrinth von niedrigen Gängen, rechteckigen Toren, dunklen Galerien, steilen Treppen, sonnendurchfluteten Höfen und höhlenartigen Räumen war. Um sie herum ragten wie riesige Speere und Kegel die mit den allgegenwärtigen Buddha-Gesichtern geschmückten Türme auf, die als Gopuras bezeichnet wurden.
    Hier konnte man sich mühelos verlaufen.
    Auch Nasser spürte das anscheinend. Er wies einen Teil seiner Eskorte an, Grays Gruppe enger zu bewachen. Ein paar Männer ließ er Schlüsselpositionen auf dem Hof einnehmen, sodass alle Ausgänge versperrt waren.
    Vigor hatte das Gefühl, eine Schlinge ziehe sich um seinen Hals zusammen, doch das war nicht zu ändern. Er zeigte nach vorn.

    »Der Übersichtskarte zufolge, die ich mir eingeprägt habe, befindet sich auf der nächsthöheren Ebene ein quadratischer Hof, der diesem hier gleicht. Ich glaube, wir sollten gleich zur dritten Ebene hochsteigen. Dort liegt das eigentliche Heiligtum. Hier geht’s lang.«
    Als sie die erste Ebene durchquerten, wurde Vigors Aufmerksamkeit von einem spektakulären Flachrelief an der Nordwand gefesselt, das einen großen Teil der Wand einnahm. Er wurde langsamer.
    Dargestellt waren zwei gegnerische Gruppen - Götter und Dämonen, die gleichen, die sie bereits als Statuen am Weg gesehen hatten. Sie veranstalteten eine Art Tauziehen mit einer Riesenschlange. Die Schlange hatte sich um einen Berg gewunden, der auf dem Rücken einer Schildkröte ruhte.
    »Was bedeutet das?«, fragte Gray.
    »Das ist der Hauptschöpfungsmythos der Hindus. Das Quirlen des Milchozeans.« Vigor wies auf die Details hin. »Das hier sind die Devas oder Götter... Auf der anderen Seite finden sich die dämonischen Asuras. Mithilfe der göttlichen Schlange Vasuki versetzen sie den magischen Berg in Drehung. Hin und her, hin und her. Sie verquirlen den kosmischen Ozean zu Milchschaum. Aus diesem Schaum wird das Elixier der Unsterblichkeit gewonnen, Amrita genannt. Die Schildkröte unter dem Berg ist eine Inkarnation des Gottes Vishnu, der den Göttern und Dämonen hilft, indem er verhindert, dass der Berg versinkt.«
    Vigor zeigte auf den zentralen Turm des Bayon. »Angeblich ist das der Berg. Oder zumindest sein Gegenstück auf Erden.«
    Gray blickte zu dem fünfzehn Stockwerke hohen Turm auf, dann fasste er wieder das Relief in den Blick. Er fuhr mit dem Finger am gemeißelten Berg entlang und legte die Stirn in Falten. »Aber was ist passiert? Wurde das Elixier hergestellt?«
    Vigor schüttelte den Kopf. »Dem Mythos zufolge gab es Komplikationen. Der Schlange Vasuki wurde von dem ganzen Gezerre übel, und sie erbrach ein starkes Gift. Das Gift drohte Götter und Dämonen zu töten. Vishnu rettete sie, indem er das Gift auftrank, doch er färbte sich davon blau, weshalb er stets mit blauem Hals dargestellt wird. Mit seiner Hilfe wurde das Quirlen so lange fortgesetzt,
bis das Elixier der Unsterblichkeit gewonnen war, aus dem die Apsaras, die tanzenden Himmelsgeister, hervorgingen. Und so nahm alles ein gutes Ende.«
    Vigor drängte zum Weitergehen, doch Gray blieb stehen und musterte weiterhin mit einem seltsamen Gesichtsausdruck das Relief.
    Nasser trat neben ihn. »Die Zeit ist abgelaufen«, sagte er und tippte mit seiner Armbanduhr gegen das Handy. Seine Stimme triefte von Verachtung. »Oder haben Sie plötzlich eine Erleuchtung gehabt?«
    Der zynische Scherz ließ Vigor schaudern. Es bereitete Nasser Vergnügen, Gray zu quälen. Vigor machte Anstalten, zwischen die beiden Männer zu treten, denn er fürchtete, Gray könnte über Nasser herfallen.
    Gray aber nickte nur. »In der Tat.«
    Nassers Augen weiteten sich.
    Gray legte die flache Hand aufs Relief. »Das ist kein Schöpfungsmythos, sondern die Geschichte des Judas-Stamms.«
    »Was reden Sie da?«, sagte Nasser.
    Damit nahm er Vigor das Wort aus dem Mund.
    »Nach allem, was Sie uns über den Krankheitsausbruch in Indonesien erzählt haben, fing es damit an, dass Meeresbakterien zu leuchten begannen«, erklärte Gray. »Auf dem Meer hatte sich weißer Schaum gebildet. Es glich gequirlter Milch.«
    Vigor stutzte, ging um Gray herum und betrachtete das Relief mit neuen Augen. Die Hände hatte er in die Hüfte gestemmt.
    Seichan gesellte sich zu ihnen. Kowalski blieb, wo er war, und drückte sich vor einer Reihe barbrüstiger Frauen fast die Nasenspitze platt.
    Gray zeigte auf die Schlange. »Dann wurde ein starkes Gift freigesetzt, das alles Leben bedrohte,

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