Der Judas-Code: Roman
Steintür drehte sich in den Angeln, dahinter kam ein Gang zum Vorschein.
Kowalski wandte sich um. »Es geht nicht immer nur um Raketenwissenschaft, Leute. Manchmal ist eine Tür einfach nur eine Tür.«
Nacheinander traten sie durch die Öffnung. Gray und Kowalski trugen Susan. Seichan und Lisa drückten hinter ihnen die Tür mit der Schulter zu.
Eine aus dem Sandsteinfundament gehauene Treppe führte in die Tiefe.
Es stand außer Zweifel, wo sie hinführte.
Als sie nach unten stiegen, hörten sie eine gedämpfte Detonation, einen vereinzelten Donnerschlag. Gray dankte Pater Agreer mit einem stillen Stoßgebet.
In der Vergangenheit hatte er Marco gerettet.
Jetzt verdankten sie alle ihm das Leben.
Trotz seiner momentanen Erleichterung verspürte Gray eine furchtbare Bedrückung. Sie mochten vorerst in Sicherheit sein, doch für seine Eltern galt das nicht. Wenn Nasser feststellte, dass seine Gefangenen entwischt waren, würde er andere dafür leiden lassen.
12:18
Auf dem Dach des Lagerhauses döste Harriet in den Armen ihres Mannes. Es war ein warmer Abend. Der Mond wanderte kaum merklich über den Himmel. Trotz ihrer Angst hatte die Erschöpfung die Oberhand gewonnen. In der ersten Stunde hatte sie noch auf das Hin und Her der Rufe und das Gebell der Hunde gelauscht. Dann war es ihr egal geworden. Die Zeit wurde Harriet so lang, dass sie einnickte. Als an der anderen Dachseite der erste Ruf ertönte, schreckte sie zusammen.
»Sie sind da«, sagte Jack; er klang beinahe erleichtert.
Er zeigte ins Gehäuse der Klimaanlage, hinter dem sie sich versteckt hatten. Der Platz reichte kaum für zwei Personen. Als Harriet
hineingeklettert war, streckte sie die Hand nach draußen, um ihrem Mann hereinzuhelfen.
Jack aber hob das Türgitter von der Teerpappe hoch.
»Nein...«, stöhnte sie.
Als er das Gitter andrückte, brachte er die Lippen dicht an die Lamellen. »Bitte, Harriet, lass mich machen. Ich werde sie in die Irre führen und dir einen Aufschub verschaffen. Lass mich wenigstens das tun.«
Ihre Blicke trafen sich zwischen den schmalen Lamellen hindurch.
Sie begriff. Jack glaubte schon lange, er sei nur noch ein halber Mann. So wollte er nicht sterben. Harriet aber hatte ihn nie als Schwächling betrachtet.
Trotzdem durfte sie ihm diese Genugtuung nicht vorenthalten.
Dies war ihr letztes Geschenk an Jack.
Mit tränenüberströmtem Gesicht streckte sie die Finger durch die Schlitze. Er berührte sie, dankte ihr, versicherte sie seiner Liebe.
Die Rufe kamen näher.
Die Zeit wurde knapp.
Jack wandte sich ab und kroch zu der erhöhten Dachumrandung, die Pistole in der Hand. Als er das Mäuerchen erreicht hatte, stützte er sich daran ab und humpelte nach links davon.
Harriet sah ihm nach, bis sie ihn aus den Augen verlor.
Sie schlug die Hände vors Gesicht.
Aus der Richtung, in der Jack verschwunden war, ertönte ein scharfer Ruf. Er war entdeckt worden. Weiter links knallte ein Pistolenschuss.
Jack.
Harriet zählte seine Schüsse, denn sie wusste, dass er nur noch drei Kugeln im Magazin hatte.
Weitere Schüsse knallten, Querschläger pfiffen. Jack hatte offenbar irgendwo Deckung gefunden. Von seiner Position aus knallte es erneut.
Noch eine Kugel übrig.
In der dröhnenden Stille nach dem kurzen Schusswechsel rief Jack: »Meine Frau werdet ihr nicht finden! Ich habe sie dort versteckt, wo ihr niemals hinkommt.«
Nur wenige Schritte von Harriets Versteck entfernt gab jemand Antwort.
Annishen.
»Wenn die Hunde sie nicht finden«, rief die Frau, »werden Ihre Schmerzensschreie sie aus der Deckung scheuchen.«
Hinter dem Gitter gelangten Annishens Beine in Sicht. Sie sprach halblaut in ein Funkgerät und befahl ihren Leuten, Jack in die Zange zu nehmen.
Auf einmal spannte sich Annishen an und wandte den Kopf.
An der anderen Dachseite stieg von unten ein schwarzer Helikopter mit eckiger Wespenform hoch. Eine Militärmaschine. Heftiges MG-Feuer schwenkte übers Dach. Laute Schreie ertönten. Stiefelgepolter war zu hören. Einem vorbeirennenden Mann wurden die Beine weggerissen, und er stürzte der Länge nach hin.
Auf den umliegenden Straßen gellten Polizeisirenen.
Jemand befahl über Megafon, die Waffen fallen zu lassen.
Annishen ging neben der Klimaanlage in die Hocke und bereitete sich darauf vor, zum nächsten Ausgang zu sprinten. Harriet drückte sich instinktiv in die Ecke; dabei stieß sie mit dem Ellbogen gegen die Verkleidung. Es schepperte dumpf.
Annishen zuckte zusammen - dann
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