Der jüdische Krieg.
Nichtjude kam zu Schammai und sagte ihm, er wolle zu unserm Glauben übertreten, wenn Schammai ihm das Wesen dieses Glaubens beibringe in der Zeit, da er sich auf einem F uß halten könne. Doktor Schammai schickte ihn erzürnt fort. Da ging der Nichtjude zu Hillel. Doktor Hillel willfuhr ihm. Er sagte ihm: ›Was du nicht willst, das man dir tue, das tue nicht an andern.‹ Das ist alles.« Vespasian dachte ernsthaft nach. Er meinte: »Solche Maximen sind gut; aber ein großes Reich kann man damit schwerlich in Ordnung halten. Da ihr solche Maximen habt, tätet ihr besser, gute Bücher zu schreiben und uns die Politik zu überlassen.« – »Sie sprechen eine Ansicht aus, Konsul Vespasian«, stimmte der Jude bei, »die Ihr Diener Jochanan Ben Sakkai von jeher vertrat.« – »Ich glaube, mein Doktor und Herr«, fuhr der Römer fort, »Sie sind der beste Mann in diesem Land. Mir liegt daran, daß Sie meine Motive begreifen. Glauben Sie mir, ich bin relativ selten ein Schuft, nur dann, wenn es unbedingt sein muß. Lassen Sie mich Ihnen sagen, ich habe gegen Ihr Land nicht das geringste. Nur: ein guter Bauer macht einen Zaun um seinen Besitz. Wir müssen einen Zaun um das Reich haben. Judäa ist unser Zaun gegen die Araber und die Parther. Leider seid ihr, wenn man euch allein läßt, ein schlechter Pfahl. Also müssen wir uns selber hierherstellen. Das ist alles. Was ihr im übrigen treibt, kümmert uns nicht. Laßt uns in Frieden, und wir lassen euch in Frieden.« Jochanans Augen schauten sehr hell und frisch aus dem welken, verrunzelten Gesicht. »Es ist unangenehm«, sagte er, »daß euer Zaun gerade über unser Gebiet läuft. Es ist ein sehr dicker Zaun, und viel von unserm Land bleibt nicht übrig. Aber schön, macht euern Zaun. Nur: wir brauchen auch einen Zaun. Einen andern, einen Zaun um das Gesetz. Worum ich Sie neulich bat, Konsul Vespasian, das ist dieser Zaun. Er ist bescheiden und kümmerlich, vergleicht man ihn mit dem euern: ein paar Gelehrte und eine kleine Universität. Wir behindern eure Soldaten nicht, ihr gebt uns die Universität Jabne. Eine so kleine Universität«, setzte er überredend hinzu, und wiederum mit seinen winzigen Händen malte er ihre Kleinheit.
»Ich glaube, Ihr Vorschlag ist nicht schlecht«, sagte langsam Vespasian. Er erhob sich, plötzlich sehr verändert. Jochanan mit sicherem Instinkt begriff sogleich diese Veränderung. Bisher hatte ein alter, verträglicher sabinischer Bauer mit einem alten, verträglichen Jerusalemer Gelehrten geredet: jetzt sprach Rom zu Judäa. »Seien Sie bereit«, sagte der Marschall, »übermorgen ein Dokument von mir entgegenzunehmen, das Ihre Forderung bewilligt. Wollen Sie, bitte, mein Doktor und Herr, mir dann Zug um Zug die Unterwerfungsurkunde mit dem Siegel des Großen Rats übergeben.«
Für den zweiten Tag darauf berief Vespasian eine feierliche Versammlung auf das Forum von Cäsarea. Die Behörden des von Rom besetzten Gebiets, Deputationen aller Regimenter waren hinbeschieden. Allgemein erwartete man, jetzt endlich werde die von den Truppen ersehnte Akklamation Ves pasians zum Kaiser erfolgen. Statt dessen erschien auf der Rednerbühne des Forums der Marschall zusammen mit Jochanan Ben Sakkai. Ein hoher Justizbeamter sprach vor, und ein Herold mit schallender Stimme verkündete, die rebellische Provinz habe ihr Unrecht eingesehen, kehre reuig unter die Schutzherrschaft des Senats und Volks von Rom zurück. Des zum Zeichen werde jetzt der Großdoktor Jochanan Ben Sakkai dem Marschall Dokument und Siegel der höchsten Behörde Jerusalems überreichen. Der jüdische Krieg, den zu führen das Reich den Feldherrn Titus Flavius Vespasian ausgesandt habe, sei damit zu Ende. Was noch zu tun bleibe, die Züchtigung der Stadt Jerusalem, sei eine polizeiliche Aktion. Die Soldaten schauten sich an, verwundert, enttäuscht. Sie hatten erwartet, ihren Feldherrn als Kaiser begrüßen zu können, Sicherheit über ihr zukünftiges Schicksal und vielleicht auch eine einmalige Gratifikation zu erhalten. Statt dessen sollten sie jetzt Zeugen eines juristischen Aktes sein. Sie wußten als Römer, daß Dokumente und Juristerei eine wichtige Sache waren, immerhin, den Sinn dieser Urkunde begriffen sie nicht. Nur sehr wenige, Mucian, Cänis, Agrippa, deuteten die Zeremonie richtig aus. Sie verstanden, daß dem Ordnungsmanne Vespasian, bevor er als Kaiser nach Rom zurückkehrte, daran lag, von der Gegenseite Brief und Siegel zu erhalten, er habe seine
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