Der jüdische Krieg.
Diesen drei zu helfen, darauf kam es an. Der Anblick der drei schüttelte ihn, entzündete alle Feuer in ihm. Er war angefüllt von einem frommen Mitleid, das ihn fast zerriß. Es packte ihn und hob ihn, wie sie starr in ihrer Not am Gesetz festhielten, wie sie sich krallten ans Gesetz, wie nur das Gesetz ihnen Atem einblies, daß sie am Leben blieben. Er dachte an die Zeit, da er selber in der Wüste war, in heiliger Entbehrung, bei den Essäern, bei seinem Lehrer Banus, und wie damals in seinen besten Augenblicken Erkenntnis über ihn gekommen war nicht durch Verstand, sondern durch Versenkung, durch Schau, durch Gott.
Die Gefangenen befreien. Er preßte die Lippen zusammen in dem festen Vorsatz, jeden Gedanken an sich auszulöschen um dieser drei Elenden willen. Über dem jämmerlichen Singsang der Zwangsarbeiter hörte er die großen, hebräischen Worte des Gebotes. Nein, er ist nicht hier aus eitler Selbstsucht, Jahve hat ihn hergeschickt. Er schritt zurück durch den grauen Regen, er spürte nicht den Regen, nicht den Lehm, der an seinen Schuhen klebte. Die Gefangenen befreien.
In Judäa konnte ein Mann von Josefs politischen Anschauungen unmöglich zu den Rennen oder ins Theater gehen. Ein einziges Mal hatte er eine Aufführung besucht, heimlich und mit schlechtem Gewissen, in Cäsarea. Aber was war das für eine nichtige Sache gewesen, verglich er es mit dem, was er heute im Marcell-Theater sah. Ihm rauchte der Kopf von den Tänzen, den kleinen Rüpelspielen, dem Ballett, der großen pathetischen Pantomime, dem Prunk und dem ständigen Wechsel auf der mächtigen Bühne, die die langen Stunden hindurch nie leer gestanden hatte. Justus, der neben ihm saß, tat das alles mit einer Handbewegung ab. Er ließ auf der Bühne nur die burleske Revue gelten, wie das Volk mit Recht sie liebte, und hatte sich all das Zeug bisher nur gefallen lassen, um sich den Platz für die Revue des Komikers Demetrius Liban zu ersitzen.
Ja, dieser Komiker Demetrius Liban, so unangenehm vieles an ihm war, blieb ein Künstler mit einem Menschengesicht. Noch als Leibeigener des kaiserlichen Haushalts geboren, von Kaiser Claudius freigelassen, hatte er sich ein unerhörtes Vermögen und den Titel »Erster Schauspieler der Epoche« zusammengespielt. Kaiser Nero, den er in der Rede- und Schauspielkunst unterwies, liebte ihn. Ein schwieriger Herr, dieser Liban, gehoben und gedrückt von seinem Judentum. Auch Bitten und Befehle des Kaisers konnten ihn nicht bewegen, am Sabbat oder an hohen jüdischen Festen aufzutreten. Immer wieder debattierte er mit den Doktoren der jüdischen Universitäten, ob er wirklich von Gott verworfen sei, weil er Theater spiele. Er bekam hysterische Anfälle, wenn er in Weiberkleidung aufzutreten und also das Gebot der Schrift zu verletzen hatte: ein Mann soll nicht Weibskleidung tragen.
Die elftausend Zuschauer des Marcell-Theaters, ermüdet von den mehrstündigen Darbietungen des ersten Teils, verlangten jetzt tobend und brüllend den Anfang der Burleske. Die Theaterleitung zögerte, offenbar, weil man den Kaiser oder die Kaiserin erwartete, in deren Loge alle Vorbereitungen getroffen waren. Allein das Publikum hatte nun fünf Stunden gewartet, es war gewöhnt, sich im Theater auch dem Hof gegenüber seine Rechte zu nehmen, es drohte, es schrie, man mußte anfangen.
Der Vorhang drehte sich in die Versenkung, die Komödie des Demetrius Liban begann. Sie war betitelt »Der Brand«, es hieß, der Senator Marull sei ihr Verfasser. Ihr Held, dargestellt von Liban, war Isidor, ein Leibeigener aus der ägyptischen Stadt Ptolemais, seinem Herrn und seiner ganzen Umgebung überlegen. Er spielte fast ohne allen Behelf, trug keine Maske, keine kostbaren Kleider, keinen überhöhten Schuh; er war einfach der Leibeigene Isidor aus der Provinz Ägypten, ein schläfriger, trauriger, pfiffiger Bursche, dem nichts geschehen kann, der in jeder Situation recht behält. Er hilft seinem schwerfälligen Unglücksmenschen von Herrn aus seinen zahllosen Verlegenheiten, er schafft ihm Geld und Stellung, er schläft mit der Frau seines Herrn. Einmal, wie der ihm eine Ohrfeige versetzt, erklärt er ihm traurig und bestimmt, nun müsse er ihn leider verlassen, und er werde nicht zurückkehren, ehe der Herr an allen öffentlichen Plätzen eine Bitte um Entschuldigung plakatiert habe. Der Herr legt den Leibeigenen Isidor in Ketten, benachrichtigt die Polizei, aber es gelingt Isidor natürlich dennoch, zu entwischen, und
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