Der jüdische Krieg.
verlockende Innere des brennenden Hauses war durch eine kunstvolle Maschinerie den Zuschauern zugedreht worden. Die Tausende wälzten sich zur Bühne, stürzten sich auf die Möbel, das Geschirr, die Speisen. Schrien. Zertrampelten sich, zerdrückten sich. Und durch das Theater über den Platz davor, durch die riesigen, eleganten Kolonnaden, über das ganze, weite Marsfeld hin sang es, johlte es: »Wer ist der Herr hier? Wer zahlt die Butter?«
Als Josef von Demetrius Liban auf Betreiben des Justus zum Abendessen eingeladen wurde, machte ihn das bang. Er war dreist von Natur. Als er dem Erzpriester, dem König Agrippa, dem römischen Gouverneur vorgestellt wurde, war er nicht befangen gewesen. Allein vor dem Schauspieler spürte er tieferen Respekt. Seine Komödie hatte ihn hingerissen. Es füllte ihn mit Bewunderung, wie ein einzelner Mann, dieser Jude Demetrius Liban, die vielen Tausende, Hohe und Niedere, Römer und Fremde, hatte zwingen können, so zu denken, so zu fühlen wie er.
Josef fand den Schauspieler auf dem Sofa liegend, in einem bequemen, grünen Schlafrock; er streckte ihm lässig die vielberingte Hand hin. Josef sah betreten und mit Bewunderung, wie klein von Statur der Mann war, der das ganze riesige Marcell-Theater ausgefüllt hatte.
Es war eine Mahlzeit im engen Kreis. Der junge Anton Marull war da, ein Sohn des Senators, ein anderer, kaum flügger Aristokrat, dann ein jüdischer Herr, vom Vorstand der Veliasynagoge, ein gewisser Doktor Licin, recht affektiert und Josef sogleich unsympathisch.
Josef, das erstemal in einem groß geführten römischen Haus, fand sich überraschend gut ab mit der Fülle des Ungewohnten. Der Gebrauch des Geschirrs, der Fischsaucen, der Gewürze war verwirrend. Aber er hatte dem unsympathischen Doktor Licin, der auf dem Speisesofa ihm gegenüber lag, bald das Wichtigste abgesehen; nach einer halben Stunde schon schickte er, was ihm nicht behagte, mit der gleichen hochfahrend eleganten Kopfbewegung zurück und befahl mit einem Wink des kleinen Fingers herbei, was ihm ins Auge stach.
Der Schauspieler Liban aß wenig. Er beklagte die Diät, die sein verdammter Beruf ihm auflege, ach, auch in bezug auf Frauen, und er machte ein paar obszöne Anmerkungen über die Art, wie bestimmte Schauspielunternehmer ihre leibeigenen Künstler durch eine sinnvoll am Körper angebrachte Maschinerie verhinderten, über die Stränge zu schlagen. Gegen gutes Geld aber ließen sie sich von gewissen hochgestellten Damen erweichen, ihren armen Schauspielern den Mechanismus für einzelne Nächte abzunehmen. Dann, unvermittelt, machte er sich lustig über einige Kollegen, Anhänger eines andern Stils, über die Lächerlichkeit der Tradition, der Maske, des Stelzschuhs. Er sprang auf, er karikierte den Schauspieler Strathokles, schritt durch das Zimmer, daß der grüne Schlafrock sich bauschte, er trug Sandalen ohne Absatz, aber siehe, man spürte leibhaft den überhöhten Schuh und das ganze gespreizte Wesen.
Josef nahm einen Anlauf, rühmte bescheiden, wie diskret und dennoch deutlich die Anspielungen Demetrius Libans auf den Finanzmann Regin gewesen seien. Der Schauspieler schaute auf: »Also diese Stelle hat Ihnen gefallen? Das freut mich; denn sie hat nicht so eingeschlagen, wie ich hoffte.« Josef, glühend und doch immer bescheiden, schilderte, wie die ganze Aufführung ihn aufgewühlt habe. Millionen von Leibeigenen habe er gesehen, aber jetzt zum erstenmal habe er erfahren und gespürt, was ein Leibeigener ist. Der Schauspieler streckte Josef die beringte Hand hin. Es sei ihm eine große Bestätigung, sagte er, daß jemand, der gerade aus Judäa komme, von seiner Sache so ergriffen werde. Josef mußte ihm eingehend schildern, wie jedes einzelne auf ihn gewirkt habe. Der Schauspieler hörte nachdenklich zu, langsam einen gewissen, die Gesundheit fördernden Salat essend.
»Sie kommen aus Judäa, Doktor Josef«, wechselte schließlich Demetrius Liban das Thema. »O meine lieben Juden«, sagte er voll Anklage und Resignation. »Sie tun mir alles Bitterste auf der Welt. In der Hebräer-Synagoge verfluchen sie meinen Namen, bloß weil ich die Gaben verwerte, die Gott der Herr mir gegeben hat, und stellen mich den Kindern als Schreckbild hin. Manchmal sehe ich rot, so ärgert mich ihre Beschränktheit. Wenn sie aber ein Anliegen in der kaiserlichen Residenz haben, dann können sie laufen und mir die Ohren vollschwätzen. Dann ist Demetrius Liban gut
Weitere Kostenlose Bücher