Der jüdische Krieg.
Gabathsaul, dem nächsten größeren Ort vor Jerusalem.
Die Soldaten, in Reihen zu sechs Mann marschierend, nahmen die ganze Breite der Straße ein und drängten die Wallfahrer auf die Feldwege. Im übrigen behelligten sie die Pilger nicht. Nur wer die aufrührerische Binde mit dem Wort Makkabi trug, den packten sie. Die Wallfahrer überfröstelte es, als sie den Riesenwurm der Legionen gegen die Stadt vorkriechen sahen. Vielleicht auch zögerte der eine oder andere einen Augenblick, aber sie machten nicht kehrt, sie beschleu nigten, die Unbegreiflichen, ihren Schritt. Abgewandten Blikkes, scheu drängten sie vorwärts, zuletzt war es schon mehr eine Flucht. Und als am 14. Nissan, dem Tag vor dem Fest, dem Tag des Abendmahls, die letzten Wallfahrer die Stadt erreichten, da schlossen sich die Tore; denn hinter ihnen auf den Höhen erschienen bereits die Vorhuten der Römer.
Von jeher hatte es als eines der zehn Wunder gegolten, durch die Jahve sein Volk Israel auszeichnete, daß den Wallfahrern zum Passah der Raum Jerusalem nicht zu eng wurde. In diesem Jahr, eingezwängt in ihre Mauern, abgeschnürt von den Dörfern ringsum, die sonst Obdach bieten konnten, barst die Stadt von Menschen. Allein den Wallfahrern machte die Enge nichts aus. Sie füllten die riesigen Hallen und Höfe des Tempels, bewunderten die Herrlichkeit Jerusalems. Sie brachten Geld mit, sie drängten sich in den Basaren. Freundschaftlich rieben sie sich aneinander, machten gefällig einer dem andern Platz, feilschten gut gelaunt mit den Händlern, überbrachten ihren Bekannten Geschenke. In diesem Monat Nissan hat Jahve die Juden errettet aus der Hand der Ägypter. Sie schauten auf die anrückenden Römer mit Staunen und Neugier, doch ohne Angst. Sie spürten den heiligen Boden unter ihren Füßen. Sie waren geborgen, sie waren glücklich.
Titus und die Herren seiner Suite hielten auf der Höhe des Hügels Schönblick. Zu ihren Füßen, besonnt, von tiefen Schluchten durchfurcht, lag die Stadt.
Der Prinz, nun er sein berühmtes, aufsässiges Jerusalem zum erstenmal erblickte, schmeckte die Schönheit der Stadt ganz aus. Da schaute sie zu ihm herauf, weiß, frech auf ihren kühnen Hügeln. Weit und leer liegt die weite Landschaft hinter ihr, die vielen kahlen Gipfel, die Zedern- und Pinienhänge, die Täler mit ihren Ackern, Oliventerrassen, Weinbergen, das fern glitzernde Tote Meer; die Stadt davor aber birst von Menschen, knapp läßt sie Raum für ihre tiefen Straßenschluchten, füllt jeden Fuß Boden mit Behausung. Und wie die stille Landschaft in die wimmelnde Stadt, so mündet die wimmelnde Stadt wiederum in das Weiß und Goldene dort drüben, in das Geviert des Tempels, das, so mächtig es ist, unendlich zart und rein in der Luft schwimmt. Ja, die höchsten Punkte Jerusalems, das Fort Antonia und das Dach des Tempelhauses, liegen viel tiefer als der Grund, auf dem Titus jetzt steht, und dennoch ist es, als seien er und sein Pferd an den Boden festgeklebt, während Stadt und Tempel leicht und unerreichbar in der Luft schweben.
Der Prinz sieht die Schönheit der Stadt. Gleichzeitig, mit dem Auge des Soldaten, sieht er ihre Unzugänglichkeit. Auf drei Seiten Schluchten. Eine riesige Mauer um das. Ganze. Und wenn die genommen ist, hat die Vorstadt ihre zweite Mauer, die Oberstadt ihre dritte, und der Tempel auf seinem hohen, steilen Hügel, die Oberstadt auf dem ihren sind wiederum zwei Festungen für sich. Nur vom Norden her, da, wo er jetzt steht, senkt sich das Gelände ohne tiefen Einschnitt hinunter in Stadt und Tempel. Aber da liegen Mauern und Forts am festesten. Unbezwinglich, frech, schaut das herauf zu ihm. Eine immer unbändigere Lust füllt ihn, diese breiten, trotzigen Paläste niederzureißen, sich durch die dicken Mauern mit Eisen und Feuer einen Weg zu bahnen hinein in den Leib der spröden Stadt.
Der Prinz macht einen kleinen, unbehaglichen Ruck mit dem Kopf. Er spürt den Blick Tiber Alexanders auf sich. Titus weiß, daß der Marschall der erste Soldat der Epoche ist, die beste Stütze des flavischen Hauses. Er bewundert den Mann; sein kühnes Antlitz, sein federnder Gang erinnern ihn an Berenike. Aber er fühlt sich schülerhaft in seiner Gegenwart, die verbindliche Überlegenheit des Marschalls drückt ihn.
Tiber Alexander sitzt trotz seiner Jahre in guter Haltung auf seinem arabischen Rappen. Das lange Gesicht mit der scharfen Nase ohne Regung, schaut er hinunter auf die Stadt. Wie verwinkelt
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