Der jüdische Krieg.
feste, nüchterne Herrschaft. Sein Vater war ein alter Mann. Was im Grund aus den Worten dieses alten Mannes sprach, war Furcht. Die Furcht, ein Römer werde den inneren Anfechtungen des Ostens nicht gewachsen sein, seiner feineren Logik, seiner tieferen Moral. Aber Rom hat griechische Weisheit und griechisches Gefühl verdaut. Es war jetzt gebildet genug, auch jüdisches Gefühl und jüdische Weisheit ohne Gefahr schlucken zu können. Er jedenfalls, Titus, fühlte sich stark genug, beides zu vereinigen: östliche Dunkelheit und Tiefe und römisch grade, klare Herrenart.
Die Nachricht, Titus werde den judäischen Feldzug beendigen und der Kaiser in absehbarer Zeit nach Rom zurückkehren, erregte die Stadt Alexandrien. Die Weißbeschuhten atmeten auf. Sie freuten sich, den Kaiser loszuwerden und ihren stren gen Gouverneur Tiber Alexander dazu, und es war ihnen eine Genugtuung, daß nun endlich gegen das freche Judäa mit vier Legionen durchgegriffen werden wird. Das alte Hetzwort vom Juden Apella lebte wieder auf. Wo immer Juden sich zeigten, schallte es ihnen nach: Apella, Apella. Dann aber wurde es verdrängt von einem andern Hetzwort, einem kürzeren, schärferen, das sich rasch über die Stadt, über den Osten, über die Welt verbreitete. Der Weißbeschuhte Chäreas hatte es erfunden, jener junge Herr, den Josef einstmals mit seinem Schreibzeug niedergeschlagen hatte. Es waren die Initialen des Satzes: Hierosolyma est perdita, Jerusalem ist verloren. Hep, Hep, erklang es nun, wo Juden sich sehen ließen. Hep, Hep, schrien insbesondere die Kinder, und man verband das Wort mit dem andern, und durch die ganze Stadt johlte, schrillte es: Hep Apella, Hep Apella, Apella Hep.
Josef ließ sich das Geschrei nicht anfechten. Er, Berenike, Agrippa, der als Jude geborene Marschall Tiber Alexander waren die Hoffnung der Juden, und wieder, wo immer er erschien, begrüßte man ihn mit den Worten: Marin, Marin. Er strahlte Zuversicht. Er kannte den Titus. Es war unmöglich, daß der Marschall Tiber Alexander, von dessen Vater die schönsten Weihgeschenke des Tempels stammten, es zuließ, daß dieser Tempel zugrunde gehe. Es wird ein harter, kurzer Feldzug sein. Dann wird Jerusalem sich ergeben, das Land wird, gesäubert von den »Rächern Israels«, neu aufblühen. Er sieht sich selber schon als einen der ersten Männer, sei es der römischen Provinzialverwaltung, sei es der Jerusalemer Regierung.
Die Aufgabe freilich, die unmittelbar vor ihm liegt, ist schwer. Er will ein ehrlicher Mittler sein zwischen den Juden und den Römern. Beide Parteien werden ihm mißtrauen. Wenn die Römer eine Schlappe erleiden, wird man sie ihm in die Schuhe schieben; wenn es den Juden schlecht geht, wird er daran schuld sein. Aber wie immer, er wird ohne Bitterkeit bleiben und Augen und Herz ohne Bitterkeit offenhalten. »O Jahve, gib mir mehr Herz, die Vielfalt deiner Welt zu begreifen. O Jahve, gib mir mehr Stimme, die Größe deiner Welt zu bekennen.« Er wird sehen, wird spüren, und dieser Krieg, sein
Unsinn, sein Schrecken und seine Größe wird durch ihn von den Späteren weitergelebt werden.
Der ägyptische Winter war zu Ende, die Nilschwelle vorbei. Die Regengüsse, die das sumpfige Land gegen Pelusium schwer passierbar machten, hatten aufgehört, man konnte die Armee von Nikopolis aus nilaufwärts transportieren und sie dann auf der alten Wüstenstraße nach Judäa marschieren lassen.
Die Führer der alexandrinischen Juden gingen stolz her, in gemessener Haltung wie stets, mit ruhigen Gesichtern; aber innerlich waren sie voll Unrast. Sie waren selber mitbeteiligt an der Mobilisierung, sie machten gute Geschäfte an der Ausrüstung und der Verproviantierung der Armee. Auch waren sie voll Ingrimm gegen die Aufrührer in Judäa und billigten aus tiefstem Herzen, daß jetzt Rom den Fuß hob, um diese Aufrührer vollends zu zertreten. Aber wie leicht konnte der Tritt nicht nur die Aufrührer treffen, sondern auch die Stadt oder gar den Tempel. Jerusalem war die festeste Feste der Welt, die Aufrührer waren verblendet bis zur Selbstzerfleischung, und wenn eine Stadt mit Gewalt genommen werden muß, wo hört da die Gewalt auf, und wer kann der Gewalt gebieten aufzuhören?
Rom verhielt sich den alexandrinischen Juden gegenüber korrekt und wohlwollend. Gegen die Rebellen der Provinz Judäa wurde der Krieg geführt, nicht gegen die Juden im Reich. Wenn aber die Regierung diesen Unterschied machte, die Massen machten ihn
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