Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der jüdische Krieg.

Der jüdische Krieg.

Titel: Der jüdische Krieg. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
Vom Netzwerk:
Oberstadt verdrückten, war richtig. Nachum hatte es mit eigenen Augen gesehen, und daß die »Rächer Israels«, die jetzigen Herren der Stadt, es zuließen, bedeutete einiges. Denn die »Rächer Israels« waren sehr streng. Zu streng, fand der Glasbläser Nachum Ben Nachum. Aber das sagte er nicht laut. Die Makkabi-Leute hatten scharfe Ohren, und Nachum Ben Nachum hatte oft mit ansehen müssen, wie sie Bekannte von ihm, geachtete Bürger, weil sie unbesonnene Äußerungen getan hatten, gefangen ins Fort Phasael brachten oder sie gar an die Mauer führten, um sie zu exekutieren.
      Nachum wandte sich an Doktor Nittai: »Mein Sohn Alexas rät, wir sollen zu ihm in die Oberstadt hinaufziehen. Mein Sohn Ephraim erklärt, man werde die Neustadt halten. Was sollen wir tun, mein Doktor und Herr?« Der dürre Doktor Nittai richtete seine engen, wilden Augen auf ihn. »Die ganze Welt ist Netz und Falle«, sagte er, »nur im Tempel ist Sicherheit.«
      An diesem Tage entschied sich der Glasbläser Nachum nicht. Aber am nächsten Tag zog er sein altes, viereckiges Arbeitskleid an, er hatte es durch viele Jahre nicht getragen, sondern sich darauf beschränkt, mit den Käufern zu verhandeln. Jetzt also holte er das alte Arbeitskleid hervor, zog es an und hockte sich vor den Ofen. Seine Söhne und Gehilfen standen um ihn herum. Auf altmodische Art, wie sie sein Sohn Alexas für die Werkstatt längst abgeschafft hatte, nahm er mit der Schaufel dünnflüssige Masse des geschmolzenen Belus-Sandes aus dem Ofen, zwickte das zu formende Stück mittels einer Zange ab, formte mit der Hand einen schönen, runden Becher. Dann gab er Weisung, den großen, eiförmigen Ofen zu löschen, der nun so viele Jahrzehnte hindurch gebrannt hatte. Er schaute zu, wie er erlosch, und betete den Spruch, der bei Kenntnisnahme eines Todesfalles zu sprechen ist: »Gelobt seist du, Jahve, gerechter Richter.« Dann, mit seiner Frau, seinen Söhnen, Gehilfen, Leibeigenen, seinen Pferden, Eseln und seiner ganzen Habe, begab er sich in die Oberstadt zum Hause seines Sohnes Alexas. »Wer sich in Gefahr begibt«, sagte er, »kommt darin um. Wer zu lange wartet, von dem zieht Jahve seine Hand ab. Wenn du uns Platz geben willst, dann wohnen wir, bis die Römer fort sind, in deinem Haus.« Die Augen des Glasbläsers Alexas verloren ihren verhängten, bekümmerten Ausdruck. Er sah seit Jahren zum erstenmal frisch aus, seinem Vater sehr ähnlich. Ehrerbietig trat er drei Schritte zurück, führte die Hand an die Stirn, sagte, sich tief neigend: »Die Ratschlüsse meines Vaters sind meine Ratschlüsse. Mein niederes Haus ist glücklich, wenn mein Vater es betritt.«
      Drei Tage darauf nahmen die Römer die äußere Mauer. Sie plünderten die Neustadt, verwüsteten die Läden und Werkstätten der Kleidermacher, der Schmiede, der Eisenarbeiter, der Töpfer, die Fabrik des Glasbläsers Nachum. Sie machten das ganze Viertel dem Erdboden gleich, um Wälle und Maschinen gegen die zweite Mauer heranzuführen.
      Der Glasbläser Nachum Ben Nachum strich seinen dichten, viereckigen, schwarzen Bart, in dem jetzt einige graue Haare waren, wiegte seinen Kopf und sagte: »Wenn die Römer fort sind, werden wir einen größeren Ofen hauen.« War er aber allein, dann verhängten sich seine schönen Augen, der ganze Mann sah bekümmert aus, seinem Sohne Alexas sehr ähnlich. Ach und oj, dachte er. Nachums Glasfabrik war die beste in Israel seit hundert Jahren. Die Doktoren haben mir erlaubt, den Bart, den mir Jahve so lang und schön gemacht hat, kürzer zu tragen, auf daß er nicht versengt werde von der glühenden Masse, der Doktor Nittai hat gelebt von Nachums Glasfabrik. Und wo ist Nachums Glasfabrik jetzt? Vielleicht sind die Makkabi-Leute tapfer und gottesfürchtig. Aber es kann nicht der Segen Jahves sein mit einem Unternehmen, bei dem Nachums Glasfabrik zugrunde geht. Man hätte unterhandeln sollen. Mein Sohn Alexas hat es immer gesagt. Man sollte noch unterhandeln. Aber das darf man leider nicht laut sagen, sonst bringen sie einen in das Fort Phasael.
      Um diese Zeit waren die Preise der Lebensmittel in der Stadt Jerusalem bereits sehr hoch geklettert. Alexas kaufte gleichwohl, was immer er an Nahrungsmitteln erraffen konnte. Sein Vater Nachum schüttelte den Kopf. Sein Bruder, der Knabe Ephraim, drang mit wilder Rede auf ihn ein wegen seiner Schwarzseherei. Aber Alexas kaufte weiter, was immer an Lebensmitteln er auftreiben konnte. Einen Teil dieses Vorrats

Weitere Kostenlose Bücher