Der jüdische Krieg.
essen. Dazu das Brot, das herrlich duftende, das überdies vom Saft und der Tunke des Fleisches angenommen hatte. Der Alte befahl sich, nicht zu gehen, aber seine Füße folgten ihm nicht. Es zog ihn vorwärts, er ging, widerwilligen Schrittes. Griff nach den Knochen, gierig, mit seinen schmutzigen Händen. Biß zu, schlang, der Saft troff ihm in seinen ver wahrlosten weißen Bart. Er hatte keinen Segensspruch gesagt, das wäre wohl auch doppelte Lästerung gewesen. Er wußte, das war Fleisch vom Altar Jahves und Brot von seinem Tisch, und was er tat, war zehnfache Todsünde. Er schloß sich und seine Nachfahren vom Heil aus für alle Zeiten. Aber er hockte sich auf den Boden, die Knochen in beiden Händen, seine alten, schlechten Zähne rissen an den Knochen, bissen sie durch, er kaute, malmte, war glücklich.
Die andern schauten ihm zu. »Seht«, sagte der Doktor Amram, »wie er sich um das Heil seiner Seele frißt.« – »Das sind die Leute, die uns soweit gebracht haben, mein Bruder Johann«, sagte Simon. »Das sind die Leute, für die wir sterben, mein Bruder Simon«, sagte Johann. Dann sagten sie nichts mehr. Schweigend schauten sie zu, wie der Doktor und Herr Matthias auf dem Boden der Halle hockte, im Schein der Fakkeln, fressend.
Am Tag darauf, am 6. A ugust, weckte der Doktor Nittai die für diesen Tag ausgelosten Priester der Achten Reihe, der Reihe Abija. An Stelle des ratlosen Chefs hatte Doktor Nittai die Leitung des Tempeldienstes übernommen, und die Priester gehorchten ihm. Sie folgten ihm in die Halle, und Doktor Nittai sagte: »Kommet und loset, wer schlachten soll, wer das Blut sprengen, wer die Opferglieder zum Altar bringen soll, wer das Mehl, wer den Wein.« Sie losten. Dann sagte Doktor Nittai: »Gehe hinaus, du Bestimmter, und halte Ausschau, ob die Zeit zum Schlachten gekommen ist.« Als es soweit war, rief der am Ausschau: »Es tagt. Es wird hell im Osten.« – »Wird es hell bis Hebron?« fragte Doktor Nittai, und der am Ausschau erwiderte: »Ja.« Darauf befahl Doktor Nittai: »Geht hin und holt ein Lamm aus der Lämmerhalle.« Und die dazu ausgelost waren, gingen in die Lämmerhalle. Sie achteten nicht, daß kein Lamm darin war, sie holten das Lamm, das nicht da war, sie tränkten es nach der Vorschrift aus dem goldenen Becher.
Die das Los getroffen hatte, begaben sich mittlerweile mit zwei riesigen goldenen Schlüsseln zum Heiligen Raum und öffneten das große Tor. In dem Augenblick, da das mächtige Geräusch der Toröffnung an sein Ohr drang, schlachtete der dazu Bestimmte im andern Raum das Opfer, das nicht da war. Dann brachten sie das Tier, das nicht da war, auf den Marmortisch, häuteten und zerteilten es nach der Vorschrift, trugen, ihrer neun, die einzelnen Teile zur Rampe des Altars. Dann losten sie, wer die Opferglieder von der Rampe auf den Altar bringen solle. Es kamen die Beamten des niederen Dienstes und kleideten die dazu Bestimmten neu ein. Dann entzündeten sie das Opferfeuer und räucherten aus goldener Schale mit goldenen Löffeln. Und sie nahmen die große Schaufelpfeife, die hunderttonige, und ließen alle hundert Töne zugleich erklingen. Wenn dieses gewaltige Gedröhn erklang, das jedes Geräusch in Jerusalem übertönte, dann wußten alle, jetzt wird das Opfer dargebracht, und sie warfen sich nieder.
Man reichte dem Ausgelosten den Wein. Doktor Nittai erstieg das eine Horn des Altars, stand wartend, mit einem Tuch. Die dazu Bestimmten warfen die Teile des Opfers ins Feuer. Sowie sich der Priester zum Ausgießen des Weines bückte, gab Doktor Nittai sein Zeichen, schwenkte das Tuch. Und während die Rauchsäule stieg, stimmten die Leviten auf den Stufen des Heiligen Raumes den Psalm an, und die Priester auf den Rampen des Altars sprachen den Segen über das niedergeworfene Volk.
So opferten an diesem 6. A ugust die ausgelosten Priester der Achten Reihe, der Reihe Abija, mit allem Prunk und die vielen hundert Vorschriften strenge innehaltend. Diese Erschöpften, darauf gerüstet, heute oder morgen zu sterben, sahen nicht, daß die Lämmerhalle und der Altar des Herrn leer waren. Der Glaube Doktor Nittais war in ihnen. Dieser Glaube machte, daß sie das Lamm sahen. Sie brachten es dar, und dieses Opfer war der Sinn und Gipfel ihres Lebens. Nur dazu holten sie mit soviel Mühe Luft in ihre Lungen und stießen sie wieder aus, nur das noch schied sie vom Tode.
Als man Titus berichtete, daß die Juden ihrem Gott die letzten Lämmer
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