Der jüdische Krieg.
so offener. Verachtete sie den Titus um seiner Roheit willen? Nein. Das eben war das Schlimme, daß sie gegen seine Barbarei keinen Haß mehr aufbrachte. Durch das hämische, verkniffene Knabenantlitz, das er ihr zuletzt gezeigt hatte, sah sie das starke, zielgewisse Soldatengesicht. Es half nichts, daß sie sich vor ihrem Bruder, vor sich selber lustig machte über seine harte Pedanterie, über sein albernes Stenographieren. In seinem stinkenden Lager, in der zerstampften Ödnis um Jerusalem war Titus ein Mann, der Mann.
Agrippa verstand gut die mühevollen Erklärungen seiner Schwester. Riß etwa dieser bittere Krieg an seinen eigenen Nerven weniger? Er hatte den Römern sein Kontingent zugeführt, war aber dann sogleich in sein transjordanisches Königreich zurückgekehrt und wollte von den Vorgängen im Lager so wenig hören wie möglich. Sein schönes Palais in Tiberias, seine Bilder, Bücher, Statuen waren ihm vergällt. »Du hast es leichter, Schwester«, sagte er, ein kleines, trübes Lächeln auf dem schönen, etwas zu fleischigen Gesicht. »Hänge du dein Herz an Judäa, an das Land und an seinen Geist, und schlafe mit deinem Römer: und du hast für dich das Problem gelöst. Liebe ihn, Nikion, deinen Titus. Ich beneide ihn, aber ich darf dir nicht abraten. Was aber bleibt mir, Nikion? Ich begreife beide, die Juden und die Römer. Allein wie soll ich beide halten? Wenn ich sein könnte wie die in Jerusalem, wenn ich sein könnte wie die Römer. Ich sehe den Fanatismus der einen, das Barbarische der andern, aber ich komme nicht los, ich kann mich nicht entscheiden.«
Berenike, in der Stille von Tiberias, lauschte gespannt allen Nachrichten aus dem Lager vor Jerusalem. Zuerst war noch in ihren Augen die Ödnis, in die die schimmernde Umgebung der Stadt sich verwandelt hatte, in ihren Nasenlöchern der Gestank des Lagers, in ihren Ohren das Heulen des Getiers, das auf Aas wartete. Allmählich aber verlor diese Erinnerung ihren Ekel, und die Tollheit des Krieges begann die Frau anzustecken. Krieg, das war Blut und Feuer, ein großes Schauspiel, Krieg roch lieblich, Krieg, das waren wildfromme Männergesichter, brünstig nach einem schnellen, beseligenden Sterben. Immer heftiger aus der nachdenklichen Schönheit von Tiberias sehnte sie sich nach dem großen, pathetischen Getümmel des Lagers. Warum schwieg der Mann? Warum schrieb er ihr nicht? Hatte ihr Leib ihm mißfallen? Alle Wut und Scham richtete sie gegen sich selber, nicht gegen den Mann.
Als Nachricht kam, es sei nun soweit, die Entscheidung über das Schicksal des Tempels stehe unmittelbar bevor, schon habe sich ein Kabinettsrat des Kaisers damit befaßt, hielt sie sich nicht länger. Jetzt hatte sie Grund genug, ins Lager zurückzukehren.
In dem Prinzen stieg ein großes Triumphgefühl hoch, als sie sich anmeldete. Seitdem die Frau von ihm geflohen war, hatte er zwei schwer erträgliche Monate verbracht, in dem heißen, stinkenden Sommer mit mühsam gezähmten Nerven auf das Ende der Stadt lauernd. Er hat durch heftige Arbeit seine Unrast zu betäuben gesucht, er ist auch vorangekommen, er hat den Krieg bis unmittelbar an den Tempel herangetragen, und wo ehemals das Fort Antonia stand, steht jetzt sein dreigeteiltes Zelt, Arbeitsraum, Schlafraum, Eßraum. Das Bild der Berenike versagt er sich nicht länger. Beängstigend lebendig, wie alles, was Fabull gemacht hat, steht es in seinem Arbeitszimmer. Oft schaut er in die braungoldenen, langen Augen der Frau. Wie konnte er auf die irrsinnige Idee kommen, sie zu nehmen wie eine spanische Hure? Das ist eine fremde Frau, ja, sehr hoch und fremd. Er brennt nach ihr wie am ersten Tag.
Er suchte seine Aufzeichnungen vor, Worte von ihr, die er mitstenographiert hatte, verglich sie, wog sie ab. Stand lange Zeit betrachtsam vor dem Bild, voll von Zweifeln. Bezwang sich, unternahm nichts, wartete.
Nun also kam sie von selbst. Er ritt ihr weit vors Lager entgegen. Berenike war sanft, ohne Vorwurf, mädchenhaft. Die fahle Landschaft um Jerusalem, das Volk der Gekreuzigten, die Raubvögel, die verwilderten, gefährlichen Mienen der Soldaten, dieses Ge Hinnom, diese Totenlandschaft schreckte sie nicht. Denn festen Schrittes durch diesen Hades ging der Prinz, der Mann, und da sie an seiner Seite war, zog eine große Ruhe in sie.
Sie lagen zusammen beim Abendessen. Er erzählte ihr von seinen Jungen, seinen Soldaten. Diese Juden machten es einem verdammt schwer. Sie waren fanatisch,
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