Der jüdische Krieg.
hatte den Befehl mit seinem einen sehenden Auge und mit seinem listigen Hirn längst erfaßt, ehe seine quäkende Stimme dem Auge nachkam. Langsam also sprach er das Gelesene. Fleischig, mit nacktem, rosigem Gesicht, gewaltigen Schultern, mächtigem Nacken stand er vor dem Feldherrn. Langsam aus seinem breiten Mund kamen die Worte des Befehls. Die Worte: so ist der Gegner mit Energie abzuweisen, kamen sehr deutlich und mit Nachdruck, die Schlußworte: doch unter Schonung der Baulichkeiten, sprach der Hauptmann nicht etwa schneller, trotzdem klangen sie hingeworfen, nebensächlich. Er richtete, während er las, die Augen, das lebendige wie das tote, mehr auf den Feldherrn als auf das Täfelchen, forschend, zögernd, als läse er nicht richtig. Wieder, unter diesen Augen, spürte Titus vor dem lärmenden, plumpen Menschen den gleichen Widerwillen wie schon oft und die gleiche starke Lockung, die gleiche tolle Lust, die er bei den Worten der Generäle gespürt hatte, die Feuerbrände weiterzutragen, sie hineinzuschmeißen in das da, in das Bewußte. Ein kleines Schweigen war. Der Hauptmann schaute ihn immer noch an, ungläubig, wartend. Ja, kein Zweifel, er wartete. Du hast ganz recht, mein Pedan, aber die andern haben auch recht. Tut, was ihr wollt. Immer schiebt einer dem andern die Verantwortung zu. Alle wollen es tun, aber keiner will es gewesen sein. Du bist ein Mann, mein Pedan: tu du es. So vielleicht spürte Titus, während der Hauptmann Pedan dastand und wartete. Es wurde nicht Gedanke, und schon gar nicht wurde es Wort, Titus hütete sich. Nichts trat zutage als ein kleines, unmerkliches Lächeln. Allein der Erste Zenturio der Fünften merkte das Lächeln. Sagte er etwas? Dem Feldherrn war, als habe er etwas gesagt. Es hatte geklungen wie Hep, Hep. Aber das war natürlich unmöglich. Der Hauptmann Pedan nahm das Täfelchen, steckte es vorschriftsmäßig ein, grüßte, den Arm mit der flachen Hand ausgestreckt. Der Feldherr sagte: »Danke.« Der Hauptmann Pedan entfernte sich, und es war nichts gewesen.
In dieser Nacht schlief Titus mit Berenike. Er schlief unruhig, und Berenike hörte ihn sagen: gib mir das Täfelchen.
Der Hauptmann Pedan mittlerweile ging zurück nach seinem Zelt. Er hatte die Worte des Befehls genau im Kopf, trotzdem zog er das Täfelchen nochmals heraus, überlas es. Machte den breiten Mund noch breiter, war vergnügt. Gewiß, die Hitze des Landes, die scheußlichen Mücken, die sein blondes, rosiges Fleisch besonders liebten, die aufreibende Langeweile der Belagerung, das alles war zuwider, und der Träger des Graskranzes, der Liebling der Armee, hätte sich das sparen können. Er war im vorigen Jahr, als hier die Kriegshandlungen stockten, mit einem Detachement des Mucian nach Italien gegangen, um dort an dem Feldzug gegen Vitell teilzunehmen. Er hätte dort bleiben, hätte in die Garde eintreten, sich zum Oberst, zum General befördern lassen können. Jetzt, dieses Täfelchen in der Hand, bereute er es nicht, daß er als Erster Zenturio zu seiner Fünften zurückgekehrt war, vor dieses lausige Jerusalem und in diese verdammte Belagerung.
Pedan war Soldat. Er hatte vom Stiefel auf gedient. Er liebte es, dick und grob zu essen, zu huren, herumzusaufen, saftige Lieder zu grölen. Er hatte Stechen, Schießen, Fechten gelernt, war, der fleischige Mann, unheimlich gewandt und kräftig. Er war sehr einverstanden mit sich selber. Oft spiegelte er sein Gesicht, nicht nur in dem kostbaren Goldspiegel, den er auf allen Kriegszügen mitführte, sondern auch an jedem Wasser, an dem er vorbeikam, oder in seinem Schild. Sein Gesicht gefiel ihm. Als er sein Auge einbüßte, hatte er, um sich das neue Auge anfertigen zu lassen, den besten jener Spezialisten bestellt, die den Statuen Augen einfügten. Jetzt erst recht gefiel ihm sein Gesicht, und er bereute es nicht, daß er das Auge verloren hatte. Er liebte die Gefahr. Auch liebte er Beute. Er hatte aus seinem Beuteanteil, aus den Gratifikationen für besondere Leistungen und aus geschickten Lagergeschäften ein ansehnliches Vermögen zusammengerafft, das bei einem Bankier in Verona in guter Hut lag und sich dick verzinste. Einmal, alt, zahnlos, wird er sich nach diesem Verona zurückziehen, wird, der Träger des Graskranzes, der Liebling der Armee, eine große Rolle spielen, wird die Stadt tanzen lassen nach seinem Willen.
Vorläufig allerdings hat er Besseres zu tun. Da ist zum Beispiel dieser kuriose Befehl. Ein überaus erfreulicher
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