Der jüdische Krieg.
würfelte mit vier Elfenbeinknöcheln. Demetrius Liban hatte einen Einfall. Irgendwo mußte er noch aus seiner Kinderzeit hebräische Würfel verwahrt haben, sonderbare, mit einer Achse, deren oberer Teil als Griff diente, so daß sie sich wie Kreisel drehen ließen. Ja, Josef kannte diese Art Würfel. Man suchte, fand. Die Würfel waren klobig, primitiv, sie ließen sich auf eine komische, belustigende Art drehen. Man spielte mit Vergnügen. Nicht hoch, doch für Josef waren die Einsätze ungeheuer. Er atmete auf, als er die drei ersten Würfe gewann.
Es waren vier Würfel. Jeder trug die Buchstaben Gamel, He, Nun, Schin. Schin war der schlechteste, Nun der beste Wurf. Die strenggläubigen Juden verpönten dieses Spiel, sie wollten wissen, daß der Buchstabe Schin ein altes Bild des Gottes Saturn vertrat, der Buchstabe Nun ein Bild der Göttin NogaIstar, bei den Römern Venus genannt. Die Würfel wurden nach der Drehung wieder in die Mitte zusammengeworfen, jeder Spieler konnte für seinen Wurf einen beliebigen Kreisel aus den vieren herausholen. Josef warf im Lauf des Spieles sehr oft den Glücksbuchstaben Nun. Scharfäugig erkannte er bald, daß es ein bestimmter Würfel war, der bei jeder Kreiseldrehung den Buchstaben Nun ergab; es lag wohl daran, daß dieser Würfel an der einen Ecke unmerklich abgestoßen war. Als Josef dies bemerkte, wurde ihm kalt. Wenn die andern daraufkamen, daß es der Würfel mit dem abgestoßenen Eck war, der seine vielen Nun geworfen hatte, war dann nicht das ganze Ergebnis des heutigen Abends, die Gunst des großen Mannes, gefährdet? Er wurde sehr vorsichtig, verminderte seinen Gewinn. Was ihm blieb, genügte, daß er fortan in Rom ohne Knauserei leben konnte.
»Bin ich sehr unbescheiden, Herr Demetrius«, fragte er, als das Spiel zu Ende war, »wenn ich Sie bitte, mir diese Würfel zum Andenken zu schenken?« Der Schauspieler lachte. Ungefüg kratzte er in einen der Würfel den Anfangsbuchstaben seines Namens.
»Wann fahren wir zu den drei Unschuldigen?« fragte er Josef. »In fünf Tagen«, schlug Josef zögernd vor. »Übermorgen«, sagte der Schauspieler.
In der Ziegelei wurde Demetrius Liban großartig empfangen. Klirrend erwies das Detachement der Wachsoldaten dem Ersten Schauspieler der Epoche die Ehrenbezeigung, die den Männern der höchsten Rangstufen vorbehalten war. Die Aufseher, die Wächter drängten sich an den Toren, grüßend streckten sie ihm den rechten Arm mit der geöffneten Hand entgegen. Von allen Seiten rief es: »Gegrüßt, Demetrius Liban.«
Strahlender Himmel war, der Lehm, die geduckten Zwangsarbeiter sahen weniger trostlos aus, überall zwischen ihrem monotonen Singsang klang das berühmte Couplet: »Wer ist der Herr hier? Wer zahlt die Butter?« Benommen an der Seite des Schauspielers ging Josef; mehr fast als der Jubel der Tausende im Theater packte ihn der Anblick der Verehrung, die Demetrius Liban auch an dieser Stätte letzten Elends genoß.
In dem unterirdischen, feuchtkalten Gelaß aber war die festliche Tünche sogleich weg, mit der die Ziegelei heute angestrichen war. Die hohen, schmalen Fenster, der Gestank, der monotone Singsang. Die drei hockten wie damals ausgedörrt, den vorgeschriebenen Eisenring am Fuß, das eingebrannte E auf dem Schädel, die filzigen Bärte grotesk abstehend von den halbgeschorenen Köpfen.
Josef versuchte, sie zum Sprechen zu bringen. Mit der gleichen liebevollen Mühe wie das letztemal holte er aus ihnen Sätze des Elends, der hoffnungslosen Ergebung.
Der Schauspieler, leicht erregt, schluckte. Seine Augen hingen an den Greisen, wie sie ausgemergelt, zerbrochen, mit schwer arbeitenden Adamsäpfeln ihre kümmerlichen Worte gurgelten. Gierig nahmen seine Ohren ihr rauhes, abgehacktes Gestammel auf. Er wäre gern hin und her gegangen, doch das war schwer in dem engen, niedrigen Raum, so stand er starr an seinem Platz, aufgewühlt. Seine rasche Phantasie sah, wie diese Männer hoch hergeschritten waren, weißgewandet, feierlich in der Quadernhalle des Tempels, Gesetzesverkünder in Israel. Tränen kamen ihm, er wischte sie nicht weg, sie rannen über seine leicht gedunsenen Wangen. Er stand sonderbar gezwungen, ohne Regung, dann, mit verbissenen Zähnen, ganz langsam, hob er die Hand mit den beringten Fingern und riß sein Kleid weit durch, wie es die Juden taten zum Zeichen großer Trauer. Dann hockte er nieder bei den drei Elenden, ganz nahe schmiegte er sich an ihre stinkenden
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