Der jüdische Krieg.
durch den dünnen Flor des ernstgeschnittenen Kleides.
Josef zog sein Memorandum hervor. Allein, wie er anfing, griechisch zu lesen, sagte sie gleich: »Aber was fällt Ihnen ein? Sprechen Sie doch aramäisch.« – »Ja, werden Sie mich denn dann ganz verstehen?« fragte töricht Josef. »Wer sagt Ihnen denn, daß ich Sie ganz verstehen möchte?« erwiderte die Kaiserin. Josef zuckte die Schultern, mehr hochmütig als gekränkt, und dann legte er los, aramäisch, wie er seine Rede ursprünglich entworfen hatte, ja, die Zitate aus den alten Schriften sprach er unbekümmert hebräisch. Doch er konnte sich nicht konzentrieren, er merkte, daß er ohne Schwung sprach, er schaute die Kaiserin unverwandt an, erst demütig, dann ein bißchen blöd, dann interessiert, schließlich geradezu frech. Er wußte nicht, ob sie zuhörte, und schon gar nicht, ob sie verstand. Als er fertig war, fast unmittelbar nach seinem letzten Wort, fragte sie: »Kennen Sie Cleo, die Frau meines Gouverneurs in Judäa?« Josef hörte das »meines«. Wie das klang: mein Gouverneur in Judäa. Er hatte sich vorgestellt, solche Worte müßten kommen wie in Stein gehauen, statuarisch, und nun saß da ein Kind und sagte lächelnd: mein Gouverneur in Judäa, und es klang selbstverständlich, man wußte, es stimmt: Gessius Flor war ihr Gouverneur in Judäa. Aber trotzdem war Josef durchaus nicht gewillt, sich davon imponieren zu lassen. »Ich kenne die Frau des Gouverneurs nicht«, sagte er, und, dreist: »Darf ich eine Antwort auf meinen Vortrag erwarten?« – »Ich habe Ihren Vortrag zur Kenntnis genommen«, sagte die Kaiserin. Konnte ein Mensch wissen, was das bedeuten sollte?
Der Schauspieler fand es an der Zeit, einzugreifen. »Doktor Josef hat wenig Zeit für gesellschaftliche Dinge«, half er seinem Schützling. »Er beschäftigt sich mit Literatur.« – »Oh«, sagte Poppäa und wurde ganz ernst und nachdenklich, »hebräische Literatur. Ich kenne wenig. Was ich kenne, ist schön, aber sehr schwer.« Josef spannte sich, sammelte sich. Es mußte, mußte! ihm gelingen, diese Dame, die so glatt und spöttisch dasaß, zu erwärmen. Er erzählte, wie es sein einziges Bestreben sei, die gewaltige jüdische Literatur den Römern aufzuschließen. »Ihr schleppt aus dem Osten Perlen und Gewürze und Gold und seltene Tiere«, verkündete er. »Aber seine besten Schätze, seine Bücher, laßt ihr liegen.«
Poppäa fragte, wie er sich das denke, die jüdische Literatur den Römern aufzuschließen. »Schließen Sie mir einmal ein Stück davon auf«, sagte sie und schaute ihn aufmerksam aus ihren grünen Augen an.
Josef machte die Lider zu, wie er es wohl an Märchenerzählern seiner Heimat gesehen hatte, und begann zu erzählen. Er nahm das erste, was ihm beifiel, und erzählte von Salomo, einem König in Israel, von seiner Weisheit, seiner Macht, seinen Bauten, seinem Tempel, seinen Weibern und seiner Abgötterei, und wie ihn die Königin aus Äthiopien besuchte, und wie klug er einen Weiberstreit um ein Kind schlichtete, und wie er zwei überaus tiefe Bücher schrieb, eines von der Weisheit, genannt der Prediger, und eines von der Liebe, genannt das Hohelied. Josef versuchte, einige Strophen aus diesem Hohenlied wiederzugeben in einem Gemisch von Griechisch und Aramäisch. Das war nicht leicht. Jetzt hielt er die Augen nicht mehr geschlossen, er übersetzte auch nicht nur mit dem Mund, vielmehr mühte er sich, die heißen Verse deutlich zu machen mit Gesten und Atemzügen und dem ganzen Leib. Die Kaiserin rutschte leicht vor auf ihrem Sessel. Die Arme hielt sie auf der Lehne, den Mund hatte sie halb offen. »Das sind schöne Lieder«, sagte sie, als Josef innehielt, stark atmend vor Anstrengung. Sie wandte sich gegen den Schauspieler. »Ihr Freund ist ein netter Junge«, sagte sie.
Demetrius Liban, der sich ein wenig im Hintergrund fühlte, benützte die Gelegenheit, sich wieder vorzuspielen. Der Schatz jüdischen Schrifttums sei unausschöpfbar, bemerkte er. Auch er verwerte ihn oft, um seine Kunst aufzufrischen.
»Sie waren großartig gemein, Demetrius«, sagte voll Anerkennung die Kaiserin, »letzthin als Leibeigener Isidor. Ich habe so gelacht«, sagte sie. Demetrius Liban saß da mit leicht verzerrtem Gesicht. Die Kaiserin mußte gut wissen, daß das Anmerkungen waren, die er gerade von ihr bestimmt nicht hören wollte. Dieser junge, freche und tölpische Mensch aus Jerusalem brachte ihm kein Glück. Die ganze Audienz war
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