Der jüdische Krieg.
kennenlernte, schaute er ihre Technik, sogar den Jargon des Metiers ab. Er hatte politische und weltanschauliche Gespräche mit Männern von Bedeutung, Liebschaften mit Frauen, die ihm gefielen, mit leibeigenen Mädchen wie mit Damen der Aristokratie.
Josef lebte also angesehen und angenehm. Dennoch packte ihn oft, wenn er allein war, prickelndes Unbehagen. Er wußte natürlich, daß die Freilassung der drei Unschuldigen nicht über Nacht erfolgen konnte. Aber nun vergingen Wochen, Monate, er wartete und wartete, wie er in Judäa gewartet hatte. Es fraß an ihm, er mußte sich Gewalt antun, um nicht aus der Rolle des Zuversichtlichen zu fallen.
Claudius Regin hatte ihn aufgefordert, er möge ihm das Memorandum schicken, dessen Vortrag solchen Eindruck auf die Kaiserin gemacht hatte. Josef schickte das Manuskript, wartete gespannt auf eine Äußerung des großen Verlegers. Aber der schwieg. Josef wartete vier lange Wochen; Regin schwieg. Hatte er das Manuskript dem Justus zu lesen gegeben? Josef wurde es unbehaglich, wenn er an den kühlen, scharfen Kollegen dachte.
Endlich bat ihn Regin zum Essen. Einziger Gast außer Josef war Justus von Tiberias. Josef spannte sich, witterte Auseinandersetzung. Er brauchte nicht lange zu warten. Schon nach dem Vorgericht sagte der Hausherr, er habe Josefs Memorandum gelesen. Beachtliches Formtalent, aber der Inhalt, die Argumente seien schwach. Justus habe sich ja auch seinesteils, im Auftrag des Königs Agrippa, zu dem Fall der drei Verurteilten geäußert. Es wäre freundlich, wenn er ihnen seine Meinung mitteilen wollte. Dem Josef zitterten die Knie. Die Meinung ganz Roms erschien ihm mit einemmal unwichtig vor der Meinung dieses seines Kollegen Justus von Tiberias.
Justus ließ sich nicht bitten. Der Fall der drei könne nicht anders behandelt werden als im Zusammenhang mit der Angelegenheit Cäsarea. Die Angelegenheit Cäsarea könne nicht anders behandelt werden als im Zusammenhang mit der gesamten Orientpolitik Roms. Seitdem im Osten der Generalfeldmarschall Corbulo kommandiere, habe Rom in der Form manchmal, in der Sache nie Konzessionen gemacht. Bei allem Respekt vor dem Formtalent des Josef glaube er nicht, daß in der kaiserlichen Kanzlei seine Denkschrift den Ausschlag geben werde, sondern vielmehr Berichte und Aufstellungen des Finanzamts, des Generalstabs. Er, Justus, habe in der Denkschrift, die er der Orientabteilung der Kanzlei im Auftrag seines Königs Agrippa überreichte, vor allem die juristische Seite der Angelegenheit Cäsarea ins Licht gehoben. Habe hingewiesen auf das Beispiel der Stadt Alexandrien, wo Rom die Schiebungen der Judenfeinde nicht hatte durchgehen lassen. Aber er fürchte, der Minister Talaß, ohnedies Antisemit und wahrscheinlich von den Griechen Cäsareas geschmiert, werde hier trotz aller juristischen Argumente die Schiebungen der nichtjüdischen Bevölkerung begünstigen. Vom Gesichtspunkt der gesamten römischen Orientpolitik aus gesehen leider mit gutem Grund. Justus hatte sich auf seinem Speisesofa hochgesetzt; er dozierte scharf, logisch, eindringlich. Josef hörte zu, liegend, die Hände hinterm Kopf verschränkt. Plötzlich richtete er sich hoch, beugte sich über den Tisch gegen Justus, sagte feindselig: »Es ist nicht wahr, daß es bei den Märtyrern von Tibur um Politik geht. Es geht um Gerechtigkeit, um Menschlichkeit. Nur um der Gerechtigkeit willen bin ich hier. Gerechtigkeit! Das schreie ich, seitdem ich in Italien bin, den Leuten ins Gesicht. Mit meinem Willen zur Gerechtigkeit habe ich die Kaiserin überzeugt.«
Regin wandte den fleischigen Kopf von einem zum andern. Sah das blaßbraune hagere Gesicht Josefs, das gelbbraune hagere des Justus. »Wissen Sie, meine Herren«, sagte er, und seine hohe, fettige Stimme war bewegt, »daß Sie sich ähnlich sehen?«
Beide waren sie betroffen. Sie musterten sich: der Juwelier hatte recht. Sie haßten sich.
»Ich kann Ihnen übrigens im Vertrauen sagen, meine Herren«, fuhr Regin fort, »daß Sie sich über einen Fall streiten, der erledigt ist. Ja«, sagte er ihnen in ihre verblüfften Gesichter, »die Angelegenheit Cäsarea ist entschieden. Es kann eine Weile dauern, bis das Edikt veröffentlicht wird; aber es ist unterschrieben und an den Generalgouverneur von Syrien abgegangen. Sie haben recht, Doktor Justus. Die Angelegenheit Cäsarea ist gegen die Juden entschieden.«
Die beiden jungen Leute schauten mit starren Augen auf Claudius Regin, der
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