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Der jüdische Krieg.

Der jüdische Krieg.

Titel: Der jüdische Krieg. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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Ben Matthias, Delegierter des Großen Rats von Jerusalem, und der Schauspieler Demetrius Liban. Natürlich erregte auch hier der Schauspieler die meiste Aufmerksamkeit; aber alle ohne Ausnahme, die römischen Herren und die Juden, zeigten sich den schlanken jungen Mann mit dem hagern, fanatischen Gesicht, der kühnen Nase und den heftigen Augen: das war der Doktor Josef Ben Matthias, der die Amnestierung der drei erwirkt hatte. Es war eine große Stunde für Josef. Er sah jung, ernst, erregt und würdig aus, er machte gute Figur selbst neben dem Schauspieler.
      Endlich kam der Wagen mit den dreien. Sie wurden herausgeholt. Sie waren sehr schwach, ihre Leiber schaukelten merkwürdig mechanisch hin und her. Blicklos schauten sie in die vielen Gesichter, auf die vielen feierlichen weißen Kleider, stumpf hörten sie die Ansprachen, die sie rühmten. Ergriffen machte man sich aufmerksam auf die halbgeschorenen Schädel mit dem eingebrannten E, auf die Spuren der Kette über den Knöcheln. Viele weinten. Der Schauspieler Demetrius Liban aber kniete nieder, den Kopf neigte er in den Staub der Straße, und er küßte die Füße der Männer, die gelitten hatten für Jahve und das Land Israel. Man war gewohnt, ihn als Komiker zu sehen, das Volk lachte, wo immer er sich zeigte, aber niemand fand ihn komisch, wie er im Staub lag vor den dreien und ihre Füße küßte und weinte.
      Am Sabbat darauf fand der große Gottesdienst statt in der Agrippenser-Synagoge. Der älteste von den dreien las die ersten Verse des für diesen Sabbat bestimmten Abschnittes aus der Schrift; mühsam, tief aus der Kehle holte er die Worte, das weite Bethaus war erfüllt von Menschen bis in den letzten Winkel, dicht, lautlos und gepackt standen sie die ganze Straße entlang. Josef aber wurde aufgerufen, nach Schluß der Verlesung die Thorarolle hochzuheben. Schlank und ernst stand er auf dem erhöhten Platz, hoch mit beiden Händen hob er die Rolle, drehte sich, auf daß alle sie sehen könnten, schaute mit seinen heftigen Augen über die zahllose Versammlung. Und die Blicke der Juden Roms hingen an dem jungen, glühenden Menschen, wie er die heilige Rolle der Schrift vor ihnen hochhob.
      In diesem Winter wurden die drei Märtyrer sehr gefeiert. Allmählich erholten sie sich, ihre abgezehrten Leiber gewannen neuen Saft, ihre kahlgeschorenen Schädel bedeckten sich mit spärlichem neuem Haar, nach den Rezepten Scribon Largs wurden die Kettennarben über ihren Fußknöcheln getilgt. Man reichte sie von einer Gemeinde zur andern, von einem der einflußreichen jüdischen Herren zum andern. Sie nahmen die Ehrungen ziemlich stumpf hin, als gebührenden Tribut.
      Langsam, mit zunehmenden Kräften, begannen sie, mehr zu reden. Es erwies sich, daß die Märtyrer zänkische, eifernde, keifende alte Herren waren. Nichts war ihnen fromm genug und den Vorschriften entsprechend. Sie stritten unter sich und mit jedem andern, sie gingen unter den Juden Roms umher, als wäre es Jerusalem und diese Juden alle ihrer Herrschgewalt unterstellt, sie ordneten an und verboten. Bis endlich Julian Alf sie verbindlich, aber bestimmt darauf aufmerksam machte, seine Veliasynagoge liege nicht in ihrem Tempelbereich. Darauf verfluchten sie ihn und wollten ihn in den Großen Bann tun und den allgemeinen Boykott gegen ihn erklären. Alle waren schließlich froh, als die Schiffahrt wieder begann und man die drei nach Puteoli auf das Schiff nach Judäa bringen konnte.

    Josefs Aufgabe in Rom war erledigt. Dennoch blieb er. Klar stand ihm wieder das Ziel vor Augen, um dessentwillen er nach Rom gekommen war: diese Stadt zu erobern. Immer deutlicher wurde ihm, daß es für ihn einen einzigen Weg gab: die Literatur. Ein großer Stoff aus der Geschichte seines Landes lockte ihn. Von jeher hatte ihn in den alten Büchern seines Volkes dieser Bericht am meisten gepackt: der Freiheitskampf der Makkabäer gegen die Griechen. Jetzt erst erkannte er, was ihn hierhergezogen hatte. Rom war reif, die Weisheit und das Geheimnis des Ostens zu empfangen. Seine Aufgabe war, der Welt jenen pathetisch heroischen Abschnitt aus der Vorzeit Israels darzustellen, so daß alle erkannten: dieses Land Israel war ausersehen, in ihm wohnte Gott.
      Er sprach niemandem von seinem Vorhaben. Nach außen hin führte er das Leben eines jungen Herrn der guten Gesellschaft. Aber alles, was er sah, hörte, lebte, bezog er auf sein Werk. Es mußte möglich sein, beides zu begreifen, den Osten und den Westen.

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