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Der jüdische Krieg.

Der jüdische Krieg.

Titel: Der jüdische Krieg. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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sich auf ihn stürzte. Früher ein fanatischer Anhänger der »Unentwegt Rechtlichen«, hatte er sich seit einiger Zeit den »Rächern Israels« angeschlossen. Seitdem Josef die Befreiung der drei Märtyrer durchgesetzt hatte, hing er ihm mit doppelter Leidenschaft an.
      Was er ihm jetzt mitteilen konnte, mußte Josef eine gro- ße Genugtuung sein. Galiläische Freischärler hatten einen römischen Kurier abgefangen und ihm einen anscheinend bedeutungsvollen Brief abgenommen. Simon Bar Giora hatte dem Doktor Amram, den er schätzte, den Brief gezeigt. In diesem Schreiben berichtete Oberst Paulin, der Adjutant des Cestius, einem Freunde eilig und vertraulich über die Niederlage der Zwölften Legion. Es lag, schrieb er, für den unseligen Rückzugsbefehl kein vernünftiger Grund vor. Sein Chef hatte einfach die Nerven verloren. Und schuld an dieser Nervenkrisis, eine seltsame und erbitterte Laune des Schicksals, war eine Lappalie: der Selbstmord jener drei verrückten Zwangsarbeiter von Tibur. Der alte Herr hatte zeitlebens nur an Vernunft geglaubt. Der alberne und heroische Tod der drei warf ihn um. Gegen ein solches Volk von Fanatikern und Verrückten eine reguläre Armee einzusetzen war sinnlos. Er kämpfte nicht weiter. Er gab es auf.
      Josef las den Bericht, es wurde ihm heiß unter seinem Priesterhut, trotzdem es ein frischer Novembertag war. Der Brief war eine große, herrliche Bestätigung. Manchmal in diesen Zeiten hatte er gezweifelt, ob seine römische Tat gut war. Als die Römer, als gar die »Unentwegt Rechtlichen« die Amnestierung der drei immer wieder als Beweis für die Milde der kaiserlichen Verwaltung anführten, schien es, daß wirklich Justus mit seiner kahlen Mathematik recht behalten sollte. Jetzt aber wurde es offenbar, daß seine Tat sich dennoch zum Heil auswirkte. Ja, mein Herr Doktor Justus von Tiberias, meine Haltung war vielleicht unvernünftig, aber ist sie nicht durch die Folgen herrlich gerechtfertigt?
      Der Erzpriester Anan eröffnete die Sitzung. Er hatte es heute nicht leicht. Er stand an der Spitze der »Unentwegt Rechtlichen«, führte den Flügel der extremen Aristokraten, die im Schutz der römischen Waffen den Kleinbürgern, Bauern und Proletariern hart und hochmütig alle Erleichterungen versagt hatten. Sein Vater und drei seiner Brüder hatten, einer nach dem andern, das Erzpriestertum, das erste Amt des Tem pels und des Staates, bekleidet. Klar, kühl und fair, war er der rechte Mann gewesen, mit den Römern zu verhandeln: jetzt war seine Verständigungspolitik schmählich gescheitert, man stand unmittelbar vor dem Krieg, war man nicht schon mitten darin? Und was wird der Erzpriester Anan jetzt tun und sagen? Ruhig wie stets stand er in seinem hyazinthfarbenen Kleid, er strengte seine tiefe Stimme nicht an, es wurde sogleich still, als er zu sprechen anhub. Er war wahrlich ein mutiger Mann. Als wäre nichts geschehen, sagte er: »Ich bin befremdet, Herrn Simon Bar Giora hier in der Quadernhalle wahrzunehmen. Mir scheint, nur im Feld hat der Soldat zu entscheiden. Wie es weiter mit diesem Tempel und diesem Lande Israel gehalten werden soll, steht vorläufig noch beim Kollegium der Erzpriester, beim Großen Rat und beim Obersten Gerichtshof. Ich ersuche also Herrn Simon Bar Giora und seine Offiziere, sich zu entfernen.« Von allen Seiten rief es los gegen den Erzpriester. Der Freischärlerführer schaute um sich, als habe er nicht verstanden. Anan aber fuhr fort, immer mit der gleichen, nicht lauten, aber tiefen Stimme: »Da aber Herr Simon Bar Giora einmal hier ist, möchte ich ihn fragen: an welche Behörde hat er die von den Römern erbeuteten Gelder abgeführt?« Die Sachlichkeit dieser Frage wirkte ernüchternd. Der Offizier, das Gesicht dunkelrot, erwiderte knapp: »Die Gelder sind in Händen des Chefs der Tempelverwaltung.« Alle Köpfe drehten sich nach diesem, dem jungen, eleganten Doktor Eleasar, der gradaus und unbeteiligt vor sich hin sah. Dann, mit einem kurzen Gruß, entfernte sich Simon Bar Giora.
      Kaum war er gegangen, brach Doktor Eleasar los. Niemand im Volk werde verstehen, wie der Erzpriester den Helden von Beth Horon so hochfahrend von der Sitzung habe ausschließen können. Die »Rächer Israels« seien nicht mehr gewillt, den schalen Rationalismus der Herren länger zu dulden. Da hätten sie immer erklärt, kleingläubig, rechnerisch, es sei unmöglich, gegen römische Truppen aufzukommen. Nun aber: wo sei die Zwölfte Legion jetzt? Gott

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