Der jüdische Krieg.
erlangt, einfach durch die Wirkung seines Wesens. Solche stille, ehrgeizlose Art war dem Josef fremd, unheimlich geradezu, sie kratzte und bedrückte ihn, er ging dem Großdoktor am liebsten aus dem Weg. Und nun hatte der ihn vorgeschlagen.
Er war ergriffen, als die Versammlung den Vorschlag bestätigte. Die Männer, die ihn beauftragten, waren weise und gut. Auch er wird weise und gut sein. Er wird nicht als einer der »Rächer Israels« nach Galiläa gehen, und ohne Ehrsucht. Er wird sich still und demütig halten und vertrauen, daß der rechte Geist über ihn komme.
Zusammen mit dem alten Jannai verabschiedete er sich von dem Erzpriester. Kühl und klar wie stets steht Anan vor ihm. Seine Richtlinien sind eindeutig. Galiläa ist am meisten gefährdet. Es gilt, die Ruhe in dieser Provinz unter allen Umständen zu erhalten. »Tun Sie in zweifelhaften Fällen lieber nichts als etwas Gewagtes. Warten Sie Weisungen von Jerusalem ab. Richten Sie immer die Augen nach Jerusalem. Galiläa hat starke Bürgerwehren. Sie, meine Doktoren und Herren, haben die Aufgabe, diese Kräfte zur Verfügung Jerusalems zu halten.« Und zu Josef sagte er noch, ihn ohne Wohlwollen musternd: »Man hat Ihnen ein verantwortungsvolles Amt anvertraut. Ich hoffe, man hat sich nicht geirrt.«
Josef hörte die Weisungen des Erzpriesters höflich, fast demütig an. Aber sie erreichten nur sein Ohr. Gewiß, solange er in Jerusalem ist, muß er auf den Erzpriester hören. Sowie er aber die Grenzen Galiläas überschritten hat, ist er nur mehr einem einzigen verantwortlich, sich selbst.
Am Abend sagte Anan zu Jochanan Ben Sakkai: »Hoffentlich waren wir nicht voreilig, diesen Josef Ben Matthias nach Galiläa zu schicken. Er kennt nichts als seinen Ehrgeiz.« – »Mag sein«, erwiderte Jochanan Ben Sakkai, »daß es Zuverlässigere gibt als ihn. Es wird vielleicht viele Jahre hindurch scheinen, als ob er nur für sich handle. Aber solange er nicht tot ist, werde ich glauben, daß er zuletzt dennoch für uns gehandelt haben wird.«
Der neue Kommissar Josef Ben Matthias fuhr durch seine Provinz, kreuz und quer. Es war eine gute Regenzeit in diesem Jahr, Jahve war gnädig, die Zisternen füllten sich, auf den Bergen Obergaliläas lag Schnee, fröhlich prasselten die Bergbäche herunter. In der Ebene hockten die Bauern auf dem Boden, rochen an der Erde nach dem Wetter. Ja, es war ein reiches Land, fruchtbar, mannigfach mit seinen Tälern, Hügeln, Bergen, mit seinem See Genezareth, dem Fluß Jordan, der Meeresküste, mit seinen zweihundert Städten. Ein wahrer Garten Gottes, lag es in seiner zauberisch hellen Luft. Josef dehnte die Brust. Er hat es erreicht, er ist sehr hoch gestiegen, es ist herrlich, Herr dieser Provinz zu sein. Wer mit Vollmachten wie er in dieses Land kommt, der muß seinem Namen weithin und für immer Geltung verschaffen, oder er ist ein Unfähiger.
Aber nach wenigen Tagen schon begann ein tiefes Mißbehagen an ihm zu fressen, und es fraß weiter mit jedem Tag. Er studierte die Akten, die Archive, er ließ die Gauvorsteher kommen, verhandelte mit den Bürgermeistern, den Priestern, den Vorstehern der Synagogen und Lehrhäuser. Er versuchte zu organisieren, gab Weisungen, man pflichtete ihm höflich bei, man führte seine Weisungen aus; aber er spürte deutlich, man tat das ohne Glauben, seine Maßnahmen blieben ohne Wirkung. Die gleichen Dinge sahen sich anders an in Jerusalem, anders in Galiläa. Wenn nach Jerusalem immer wieder Klagen kamen, wie sehr das Land unter den drückenden Steuern leide, dann zuckte man dort die Achseln, führte Ziffern an, belächelte die Beschwerden Galiläas als das übliche Gejammer und trieb, unter dem Schutz der römischen Waffen, die Steuern weiter ein wie bisher. Jetzt vergleicht Josef, die Lippen verpreßt, die galiläische Wirklichkeit mit den Jerusalemer Ziffern. Mit finsteren Augen sieht er: die Klagen dieser galiläischen Bauern, Fischer, Handwerker, Hafen- und Fabrikarbeiter sind kein leeres Gejammer. Sie sitzen im Gelobten Land, aber die Reben des Landes wachsen nicht für sie. Das Fett des Landes geht, nach Cäsarea an die Römer, sein Öl an die großen Herren nach Jerusalem. Da ist die Bodenabgabe: von der Kornfrucht der dritte Teil, vom Wein und vom Öl die Hälfte, vom Obst der vierte Teil. Dann der Tempelzehnt, die jährliche Kopfsteuer für den Tempel, die Wallfahrtssteuern. Dann die Auktionsabgaben, die Salzsteuer, die Wege- und Brückengelder. Hier Steuern,
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