Der jüdische Krieg.
dort Steuern, überall Steuern.
Je nun, diese finanziellen Dinge sind Sache seines Kollegen Jannai. Aber Josef kann es den Leuten von Galiläa nicht verdenken, wenn sie finster blicken auf die Doktoren der Quadernhalle, die ihnen durch schlaue und verzwickte Ausdeutung der Schrift ihr Bestes wegeskamotieren, und auf ihn, ihren Vertreter. Er hat in Rom und Jerusalem gelernt, wie man Mißvergnügte behandelt, mit kleinen Erleichterungen, mit ernsten und milden Reden, mit feierlichen Kundgebungen und billigen Ehren. Aber mit diesen Mitteln kommt er hier nicht weiter.
In Jerusalem hat man hochmütig gekrümmte Lippen für die Leute von Galiläa: das ist Landvolk, das sind Provinzler, ohne Bildung, von groben Manieren. Schon in der ersten Woche muß Josef diese billige Hoffart abtun. Gewiß, die Leute hier sind lax in der Erfüllung der Gebote, die gelehrte Ausdeutung der Schrift gilt ihnen wenig. Aber dann wieder sind sie sonderbar streng und fanatisch. Sie wollen sich durchaus nicht zufriedengeben mit dem, was ist. Sie sagen, Staat und Leben müßten in den Grundlagen geändert werden; erst dann könnten die Worte der Schrift sich erfüllen. Alle hier im Land können sie das Buch des Propheten Jesaja auswendig. Die Viehtreiber reden vom ewigen Frieden, die Hafenarbeiter vom Reich Gottes auf Erden; unlängst hat ihn ein Tuchwirker korrigiert, als er ein Zitat aus dem Ezechiel nicht im Wortlaut brachte. Es sind langsame Leute, schwerfällig, ruhig und friedlich im äußern Gehabe, aber in ihrem Innern sind sie keineswegs friedlich, da sind sie gewalttätig, alles erwartend und zu allem bereit. Josef spürt deutlich: das sind Leute für ihn. Ihr dumpfer, wilder Glaube ist eine festere Basis für einen Mann und ein großes Unternehmen als die kahle Gelehrsamkeit, die glatte Skepsis Jerusalems.
Mit eifervollem Bemühen versucht er, sich den Leuten von Galiläa verständlich zu machen. Er will nicht für Jerusalem hiersein, sondern für sie. Sein Mitkommissar, der alte Doktor Jannai, läßt ihn gewähren, kommt ihm nie in die Quer. Ihn interessiert nichts als seine Finanzverwaltung. Er hat sich mit einem ungeheuren Haufen Akten in Sepphoris hingesetzt, der gemächlichen, ruhigen Hauptstadt des Landes, und betreibt jovial, aber zäh und beharrlich die Neuordnung der Finanzen. Alles andere überläßt er seinem jüngeren Kollegen. Aber trotzdem Josef tun und lassen kann, was er will, kommt er nicht weiter. Er tut allen gelehrten Hochmut von sich ab, allen Aristokraten- und Priesterstolz; er spricht mit Fischern, Werftarbeitern, Bauern, Handwerkern wie mit seinesgleichen. Die Leute sind freundlich, geehrt, aber durch ihre Worte und ihr Gehabe hindurch spürt er den inneren Vorbehalt.
Das Land Galiläa hat andere Führer. Josef will es nicht wahrhaben, er will mit diesen Männern nichts zu tun haben, aber er weiß gut ihre Namen. Es sind die Führer der Wehrverbände, die Jerusalem nicht anerkennt, der Bauernführer Johann von Gischala und ein gewisser Sapita aus Tiberias. Josef sieht, wie die Augen der Leute hell werden, wenn man diese Namen nennt. Er möchte mit den beiden Männern zusammenkommen, sie reden hören, erkunden, wie sie es angefangen haben. Aber er fühlt sich unerfahren, unfähig, unfruchtbar. Er hat sein Amt und seinen großen Titel, vielleicht auch die Macht: aber die Kraft haben die andern.
Er arbeitet sich ab. Immer heftiger stachelt ihn der Wunsch, gerade dieses Galiläa zu gewinnen. Aber das Land versperrt sich ihm. Seit fünf Wochen jetzt sitzt er hier, aber er ist nicht weiter als am ersten Tag.
An einem dieser Winterabende streicht Josef durch die Straßen der kleinen Stadt Kapernaum, eines Zentrums der »Rächer Israels«. An einem armen, vernachlässigten Haus sieht er eine Fahne herausgesteckt, das Zeichen des Kneipenwirts, daß neuer Wein eingetroffen ist. In Ratsversammlungen, Kommissionssitzungen, Synagogen, Lehrhäusern hat Josef seine Galiläer oft genug gesehen. Er möchte sie beim Wein sehen, er tritt ein.
Es ist ein niedriger Raum, dürftig, durch ein einfaches Becken, in dem man Mist verbrennt, primitiv erwärmt. In dem übelduftenden Rauch erkennt Josef ein reichliches Dutzend Männer. Man sieht auf, wie der gutgekleidete Herr eintritt, mustert ihn zurückhaltend, nicht unfreundlich. Der Wirt kommt, fragt nach seinen Wünschen, erklärt, wie gut es der Herr heute trifft. Ein Kaufmann mit einer Karawane ist durchgekommen, hat sich üppig aufkochen lassen, es ist
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