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Der jüdische Krieg.

Der jüdische Krieg.

Titel: Der jüdische Krieg. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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Jahve einen Juden schicken, die Juden zu schlagen, wird er nicht lieber einen Unbeschnittenen schicken? Warum also sollte der Messias nicht ein Unbeschnittener sein?
      Der Krämer Tarfon aber klagte in dem dunkeln, schweren Gegurgel des Dialekts: »Ach und oj, gewiß wird er ein Jude sein. Denn lehrt nicht der Doktor Dossa Ben Natan, daß er sammeln wird alle Zerstreuten und daß er dann, oj und ach, erschlagen liegen wird, unbeerdigt, in den Straßen Jerusalems und daß sein Name sein wird Messias Ben Josef? Wie aber kann der Name eines Nichtjuden Messias Ben Josef sein?«
      Nun aber mischte sich der Wirt Theophil-Giora ein, und er sprang dem Tischler Chalafta bei. Es kränkte ihn, daß ein Fremder nicht sollte der Messias sein können. Finster und hartnäckig beharrte er: nur ein Nichtjude könne der Erlöser sein. Denn heißt es nicht in der Schrift, daß er den Himmel zusammenrollen werde wie eine Buchrolle und daß erst die Strafe sein werde und das große Schlachten und das Feuer in der mörderischen Stadt?
      Mehrere stimmten ihm zu, andere widersprachen. Alle waren sie aufgewühlt. Langsam, düster klagend, empört redeten sie aufeinander ein, diskutierten inbrünstig die dunklen und widerspruchsvollen Botschaften. Sie waren fest im Glauben an den Erlöser, diese galiläischen Männer. Nur hatte jeder ein anderes Bild von ihm, und jeder verteidigte sein Bild, er sah es genau, er wußte, daß er recht hatte und der andere unrecht, und jeder suchte sich eifrig für sein Bild die Belege aus der Schrift.
      Josef hörte gespannt zu. Seine Augen und seine Nase waren empfindlich, aber er kümmerte sich nicht um den beizenden, widerwärtig stinkenden Rauch. Er schaute auf die Männer, wie sie in ihren harten Schädeln ihre Argumente wälzten. Man sah ordentlich, wie sie sie ausgruben, mühselig in Worte umschmolzen. Einstmals, als er bei dem Einsiedler Banus in der Wüste lebte, waren die Heilsbotschaften der Propheten groß und ständig um ihn gewesen, er hatte sie eingeatmet mit der Luft, die ihn umgab. Aber in Jerusalem waren die Verheißungen verblaßt, und von den Sätzen der Schrift waren ihm diejenigen, die vom Erlöser sprachen, die dünnsten, fremdesten geworden. Die Doktoren der Quadernhalle sahen es nicht gern, wenn man diese Weissagungen auf die Gegenwart anwenden wollte; viele schlossen sich der Meinung des großen Gesetzeslehrers Hillel an, der Messias sei längst erschienen, in Gestalt des Königs Hiskia, sie strichen aus den Achtzehn Bitten die um das Erscheinen des Erlösers, und wenn Josef sich prüfte, dann hatte seit langen Jahren die Hoffnung auf den Erlöser weder in seinen Gedanken noch in seinen Taten einen Platz gehabt: jetzt, an diesem Abend, in der dunkeln, rauchigen Kneipe, wurde ihm die Erwartung des Erretters wieder körperhaft, Glück und Bedrängnis, Eckstein des ganzen Lebens. Offenen Ohres und vollen Herzens hörte er den Männern zu, und die Anschauungen dieser Einfältigen, dieser Tuchwirker, Krämer, Tischler, Ölbauern, schienen ihm wichtiger als die scharfsinnigen Kommentare der Jerusalemer Doktoren. Wird der Erlöser den Ölzweig bringen oder das Schwert? Er verstand gut, daß sich die Männer an den Widersprüchen ihres gewalttätigen Glaubens immer mehr erhitzten und in aller Frommheit immer bedrohlicher gegeneinander wurden.
      Schließlich war es so weit, daß der Tischler Chalafta mit Fäusten gegen den Krämer Tarfon losgehen wollte. Da sagte auf einmal, gepreßt und hastig, einer von den Jüngeren: »Laßt doch, wartet doch, paßt auf, er ›sieht‹.« Da schauten sie alle hin auf den Platz neben dem Heizbecken. Dort saß ein Buckliger, fahl, dürr und, wie es schien, auch kurzsichtig. Bisher hatte er kaum den Mund aufgetan. Jetzt blinzelte er angestrengt durch den Rauch, machte die Augen eng, als ob er am Rand seiner Sehweite etwas erkennen wolle, riß sie wieder auf und blinzelte.
      Die Männer redeten auf ihn ein: »Siehst du, Akawja? Sag uns, was du siehst.« Der Sandalenmacher Akawja, immer angestrengt schauend, die Stimme heiser vom Wein und Rauch, sagte nüchtern und sehr dialektisch: »Ja, ich sehe ihn.« – »Wie sieht er aus?« fragten die Männer. »Er ist nicht groß«, sagte der Schauende, »aber er ist breit.« – »Ist er ein Jude?« fragten sie. »Ich glaube nicht«, sagte er. »Er hat keinen Bart. Aber wer will einem Gesicht ablesen, ob einer ein Jude ist?« – »Ist er bewaffnet?« – »Ich sehe kein Schwert«, erwiderte der

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