Der jüdische Krieg.
der auf starken Pfählen ruhte. Eine große Anzahl Artilleristen zog den Balken mit dem Widderkopf nach rückwärts und ließ ihn wieder vorschnellen. Keine noch so dicke Mauer konnte auf lange Zeit der Stoßkraft dieser Maschine widerstehen.
Jetzt endlich, nachdem die Widder eine Zeitlang gearbeitet hatten, fand Vespasian die Festung reif für einen Generalangriff. Der Angriff begann am frühen Morgen. Der Himmel wurde finster von den Geschossen, grauenvoll und beharrlich gellten die Trompeten der Legionen, aus allen Wurfmaschinen zugleich flogen die großen Steinkugeln, dumpf dröhnten, von den Bergen widerhallend, die Stoßmaschinen. Auf den Wällen arbeiteten drei eisenbeschlagene Türme, je siebzehn Meter hoch, besetzt mit Speerwerfern, Bogenschützen, Schleuderern, auch mit leichten Wurfmaschinen. Die Belagerten waren wehrlos gegen diese gepanzerten Ungeheuer. Unter ihrem Schutz kroch es aus den Laufgängen hervor, unheimliche, riesige Schildkröten, gebildet aus je hundert Mann römischer Elitetruppen, die ihre Schilde über den Köpfen ziegelförmig ineinanderschuppten, so daß sie keinem Geschoß erreichbar waren. Die Panzertürme arbeiteten präzis zusammen mit diesen Schildkröten, richteten ihre Geschosse gegen die Stellen der Mauer, die die Schildkröten sich erwählt hatten, so daß die Verteidiger sie räumen mußten. Schon hatten die Angreifer an fünf Stellen gleichzeitig die Mauer erreicht, warfen die Sturmbrücken. Allein in dieser Minute, da die Römer nicht schießen konnten, ohne ihre eigenen Leute zu gefährden, gossen die Verteidiger auf die Stürmenden siedendes Öl, das unter das Eisen der Rüstungen drang, und schütteten auf die Sturmbrücken einen glitschigen Absud aus griechischem Heu, so daß die Angreifer abrutschten.
Die Nacht kam, aber der Sturm der Römer ließ nicht nach. Dumpf, die ganze Nacht hindurch, dröhnten die Stöße der Widder, gleichmäßig arbeiteten die Panzertürme, die Wurfmaschinen. Die Getroffenen polterten grotesk von den Mauern herab. Geschrei war, Ächzen und Gestöhn. So voll von grausigem Lärm war die Nacht, daß die jüdischen Führer die Soldaten auf den Mauern anwiesen, sich die Ohren mit Wachs zu verstopfen. Josef selber hörte das Gedröhn mit einer beinah wilden Befriedigung. Es war der sechsundvierzigste Tag: sieben mal sieben Tage wird er die Stadt halten. Dann wird der fünfzigste Tag kommen, und es wird Stille sein. Vielleicht wird diese Stille der Tod sein. Wie immer, selig inmitten des wüsten Getöses schmeckte er die Stille dieses fünfzigsten Tages voraus, und er dachte an das Wort der Überlieferung: Erst ist der Sturm und das große Getöse, aber dann in der Stille kommt Gott.
Einem der Verteidiger gelang es in dieser Nacht, von der Mauer herab einen Ungeheuern Block mit solcher Wucht auf einen der Widder zu schleudern, daß der Eisenkopf der Maschine sich löste. Der Jude sprang von der Mauer herunter, holte den Widderkopf mitten aus den Feinden heraus, trug ihn zurück, umschwirrt von Geschossen, erstieg die Mauer und stürzte, fünfmal getroffen, sich krümmend auf der Innenseite herab. Der Mann war Sapita.
Über den Sterbenden neigte sich Josef. Sapita durfte nicht dahingehen, die Lästerung ungesühnt im Herzen. Ringsum standen zehn Männer. Sie sprachen dem Sterbenden vor: Höre, Israel, eins und ewig ist unser Gott Jahve, auf daß er in den Tod eingehe mit den Worten des Bekenntnisses. Sapita riß peinvoll an der einen Strähne seines zweigeteilten Bartes. Er bewegte die Lippen, aber Josef sah gut, es waren nicht die Worte des Bekenntnisses, die er sprach. Josef neigte sich tiefer zu ihm. Die kleinen, besessenen Augen des Sterbenden zwinkerten bösartig und schmerzhaft, er bemühte sich, etwas zu sagen. Josef brachte das Ohr ganz nah an seine trockenen Lippen, er konnte ihn nicht verstehen, aber es war deutlich, daß Sapita etwas Verächtliches sagen wollte. Josef war erstaunt und voll Kummer, daß dieser Verblendete so dahinfahren sollte. Mit raschem Entschluß, leise und leidenschaftlich, sprach er auf ihn ein: »Hören Sie, Sapita, ich werde verhindern, daß die Römer in diesem Sommer vor Jerusalem rücken. Ich werde die Stadt noch drei Tage halten. Und ich werde mich nicht nach Jerusalem durchschlagen, wie wir vereinbart haben. Ich werde bis zum vierten Morgen in der Stadt bleiben.« Die Männer, gleichmäßig, im Chor, auf daß es das Ohr des Sterbenden erreiche, gellten: Höre, Israel. Josef starrte
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