Der jüdische Krieg.
er Klarheit in seinem Hirn, Ordnung. Er denkt gar nicht daran, zu verrecken, weil er einige Tage kein Wasser getrunken hat. Gewiß, wenn man einige Tage nichts getrunken hat, dann geht man ein, das ist eine bekannte Tatsache. Aber er nicht. Die andern, ja, die werden schließlich verdursten. Aber er selber, das ist unmöglich. Er hat noch viel zu tun, er hat viel zuviel versäumt. Wo sind die Frauen, die er nicht gehabt, der Wein, den er nicht getrunken, die Herrlichkeiten der Erde, die er nicht gesehen, die Bücher, die er nicht geschrieben hat? Warum eigentlich hat er Poppäa nicht gepackt, damals? Ihr Kleid war aus koischem Flor, hauchdünn, und man sah die Haare durchschimmern. Sicher waren sie bernsteingelb. So viele Frauen waren, die er versäumt hat. Er sieht die Schenkel, die Brüste, die Gesichter.
Aber das sind gar keine Gesichter, das sind Haufen von Früchten, wie sie auf den Märkten feilgeboten werden, runde, saftige Früchte, Feigen, Äpfel, riesiggroße Trauben. Er will hineinbeißen, malmen, schlürfen; aber wie er sie packen will, hat jede das gleiche, infame, gelbbraune Gesicht, das er gut kennt. Nein, Sie verfluchter Hund, ich sterbe nicht, diesen Gefallen tue ich Ihnen nicht. Überhaupt Sie. Sie trauriger Pedant, Sie Affe der Vernunft mit Ihren Statuen und Ihrer ganzen Symmetrie und Ihrem System. Sie wollen von Judäa reden? Was verstehen Sie davon? Waren Sie einmal dabei? Haben Sie einmal mitgetan? Sie haben ja kein Blut in den Adern, Sie Schuft. Wenn Judäa Ihr verdammtes Götzenpalais kaputt haut, dann hat es recht, zehnmal recht, und ich hau mit.
Ich phantasiere nicht, Herr. Ich bin sehr durstig, aber ich weiß ganz genau: es ist eine Gemeinheit, sich von Rom aus über die Makkabi-Leute lustig zu machen. Es ist kahl und schäbig. Sie sind eine kümmerliche Erscheinung, Justus von Tiberias.
In seinem Kopf dröhnt es, viele Stimmen: Marin, Marin. Und eine dünne, hartnäckig ergebene Stimme immer dazwischen: dieser ist es.
Nein, er hat diese Stimme nie Gewalt über sich gewinnen lassen, er hat sich nie überhoben, er hat die Lästerung immer weit von sich abgetan. Es ist der Versucher, der jetzt seine Schwäche mißbraucht und ihn auf einmal jene Stimme wieder hören läßt. Ja, sicherlich ist es nichts als eine freche Schiebung des Versuchers, der das Antlitz Jahves von ihm abwenden will.
Mit großer Mühe richtete er sich auf die Knie, schlug die Stirn gegen die Erde, qualvoll, sprach das Sündenbekenntnis, qualvoll. Sprach groß und stolz: O Adonai, nicht gesündigt hab ich, nicht gefehlt hab ich. Du mußt mich trinken lassen, ich habe deinen Namen geheiligt. Ich will Wasser. Laß deinen Knecht nicht verdursten, denn ich habe dir gut gedient, und du mußt mir Wasser geben.
Auf einmal war eine Stimme in der Höhle, eine knarrende, dem Josef bekannte römische Offiziersstimme. Die andern rüttelten ihn. Es war eine sehr wirkliche Stimme, das war klar. Die Stimme sprach griechisch und sagte, man wisse, daß der galiläische Feldherr in der Höhle sei, und wenn sich die Eingeschlossenen ergäben, dann wolle man sie schonen. »Geben Sie mir zu trinken«, sagte Josef. »Sie haben eine Stunde Bedenkzeit«, erwiderte die Stimme, »dann werden wir die Höhle ausräuchern.«
Ein seliges Lächeln zog Josefs Gesicht weit auseinander. Er hat gesiegt. Er hat den toten Sapita überlistet und den frechen, lebendigen Justus, der ihn nicht an die Früchte heranlassen wollte. Jetzt wird er doch trinken und wird leben.
Aber da waren unter den Gefährten des Josef einige, die wollten von Übergabe nichts wissen. Sie dachten an die Vorgänge von Magdala, sie nahmen an, wenn die Römer sie packten, dann würden sie bestenfalls den Josef für den Triumphzug aufsparen, die andern aber ans Kreuz schlagen oder als Leibeigene verauktionieren. Sie beschlossen zu kämpfen. Halb irr vor Durst stellten sie sich dem Josef in den Weg. Eher wollten sie ihn umbringen, ehe sie duldeten, daß er sich den Römern ergebe.
Josef wollte nur eins: trinken. Ob die Römer sie wirklich schonen werden oder nicht, das kam später. Auf alle Fälle werden sie ihnen zu trinken geben, und diese Narren wollten nicht. Das waren ja Verrückte, tolle Hunde. Es wäre ja lächerlich, wenn er nach soviel Qualen sich selber umbrächte, ohne getrunken zu haben. Aus allen Winkeln seines erschöpften Hirns holte er Kraft zusammen, um sich gegen die andern zu behaupten, zu trinken, zu leben.
Lange sprach
Weitere Kostenlose Bücher