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Der jüdische Krieg.

Der jüdische Krieg.

Titel: Der jüdische Krieg. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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deutlich, daß er noch ein wenig hinkte. »Lassen Sie sich anfühlen«, sagte er und betastete ihn wie einen Leibeigenen. »Mager, mager«, konstatierte er, stark atmend. »Ihr habt allerhand aushalten müssen. Ihr hättet es billiger haben können. Sie scheinen überhaupt eine kräftig bewegte Vergangenheit zu haben, junger Herr. Ich habe mir erzählen lassen. Die Geschichte mit Ihren drei sogenannten Unschuldigen, die dann unserm Cestius Gall so auf die Nerven gingen: wie gesagt, allerhand.« Er war vergnügt. Er dachte daran, daß ohne die drei Greise dieses smarten Burschen der Gouverneur Cestius schwerlich abberufen worden wäre und daß dann er nicht hier stünde.
      »Was meinen Sie, junger Herr«, fragte er jovial, »soll ich noch heuer vor Jerusalem rücken? Ich habe Lust, mir euern Großen Sabbat im Tempel anzuschauen. Aber Sie mit Ihrem Jotapat haben mich so lang aufgehalten. Es ist spät im Jahr geworden. Und wenn die in Jerusalem so querköpfig sind wie ihr hier, dann wird das eine langwierige Angelegenheit.«
      Das war beiläufig hingesprochen, spaßhaft. Aber Josef sah die hellen, aufmerksamen Augen des Mannes in dem breiten, hartfaltigen Bauerngesicht, er hörte sein starkes Atmen, und plötzlich, mit blitzheller Intuition, ging ihm auf: dieser Römer, in seinem heimlichen Innern, will gar nicht nach Jerusalem, dem liegt nichts an einem schnellen Sieg über Judäa. Der sieht nicht so aus, als ob er, was er einmal hat, rasch wieder hergäbe. Der will seine Armee behalten, seine drei großartigen, aufeinander eingearbeiteten Legionen. Ist aber der Feldzug erst zu Ende, dann werden sie ihm ohne weiteres wieder abgenommen, dann ist es aus mit seinem Kommando. Josef sah klar: dieser General Vespasian will heuer nicht mehr vor Jerusalem.
      Diese Erkenntnis gab ihm neuen Auftrieb. Die Erregungen der Höhle waren noch in seinen Eingeweiden. Er wußte, jetzt erst und endgültig hatte er um sein Leben zu rennen, und für dieses Rennen gab ihm die Erkenntnis, daß der Römer gar nicht vor Jerusalem wollte, eine unerhörte Vorgabe. Leise, doch mit großer Bestimmtheit sprach er: »Ich sage Ihnen, General Vespasian, Sie werden in diesem Jahr nicht vor Jerusalem ziehen. Wahrscheinlich auch nicht im nächsten.« Angestrengt schauend, langsam, die Worte aus sich herausgrabend, fuhr er fort: »Sie sind zu Größerem bestimmt.«
      Alle waren betroffen von der unerwarteten Antwort: dieser jüdische Offizier, der sich so tadellos geschlagen hatte, beliebte eine absonderliche Diktion. Vespasian machte die Augen eng, beschaute sich seinen Gefangenen. »Sieh mal an«, zog er ihn auf, »die Propheten sind also nicht ausgestorben in Judäa?« Aber der Spott in seiner alten, knarrenden Stimme war leise, es war mehr Aufmunterung darin, Wohlwollen. Es gab viele merkwürdige Dinge in diesem Land Judäa. Im See Genezareth gab es einen Fisch, der schrie; was auf den sodomitischen Feldern gepflanzt wurde, schwärzte sich und zerfiel in Asche; das Tote Meer trug jeden, mochte er schwimmen können oder nicht. Alles hier war fremdartiger als sonstwo. Warum sollte nicht auch in diesem jungen jüdischen Menschen, wiewohl er ein guter Politiker und Soldat war, ein Teil Narrheit und Priestertum stecken?
      In Josef unterdes arbeitete es in rasender Eile. Angesichts dieses Römers, der sein Leben in der Hand hielt, kamen plötzlich Sätze wieder herauf, die er seit langem hinunter hatte sinken lassen, die Sätze der schweren, einfältigen Männer aus der Schenke von Kapernaum. Fiebrig spannte er sich, es ging um sein Leben, und was jene dumpf geahnt hatten, das sah er auf einmal blitzhaft klar und scharf. »Es gibt nicht viele Propheten in Judäa«, erwiderte er, »und ihre Sprüche sind dunkel. Sie haben uns verkündet, der Messias gehe aus von Judäa. Wir haben sie mißverstanden und den Krieg begonnen. Jetzt, wo ich vor Ihnen stehe, Konsul Vespasian, in diesem Ihrem Zelt, weiß ich die richtige Deutung.« Er verneigte sich voll großer Ehrerbietung, aber seine Stimme blieb nüchtern und voll Maß. »Der Messias geht aus von Judäa: aber er ist kein Jude. Sie sind es, Konsul Vespasian.«
      Diese abenteuerlich freche Lüge verblüffte alle im Zelt. Vom Messias hatten sie gehört, der ganze Osten war voll von dem Gerede. Der Messias, das war der Halbgott, von dem dieser Teil der Erde träumte, daß er auferstehen werde, um den unterjochten Orient an Rom zu rächen. Ein dunkles Wesen, geheimnisvoll, überirdisch, ein bißchen

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