- Der Jünger des Teufels
Stahltisch zur Tür schoben, entfernten sie
die Infusionsschläuche aus Gemals Arm und bedeckten ihn mit einem weißen Tuch.
»Kennen Sie die beiden Männer?«, fragte ich Lacy.
Sie hob die Augenbrauen. »Den hier kenne ich …« Sie zeigte
auf den dunkelhaarigen Mann auf dem Monitor. »Ich glaube, er heißt Buck Ryan.
Einer der Gefängniswärter. Den zweiten Mann kenne ich nicht. Woher sollte ich
auch wissen, wer er ist? Ich kann sein Gesicht nicht sehen.«
Ich betrachtete den zweiten Mann: Sein Kopf war abgewandt,
und nicht einmal das Profil seines Gesichts war zu erkennen. Sorgte er
absichtlich dafür, dass die Kamera sein Gesicht nicht einfing? Ich hatte
fast den Eindruck. Es erwies sich als äußerst schwierig, einen Blick in sein
Gesicht zu werfen. Als er zur Tür ging und den Raum verließ, musste er sich
leicht nach rechts drehen, um den Metalltisch durch die Tür zu schieben, doch
selbst in diesem Augenblick konnte ich ihn nicht richtig erkennen. Hatte ich
eine Entdeckung gemacht, oder war ich auf dem Holzweg? Ich war verwirrt und
wusste keine Antwort auf diese Frage.
Unversehens wechselte ich das Thema und fragte Lacy frei heraus:
»Warum haben Sie mir nicht gesagt, dass Sie Patientin im Bellevue waren und von
Gemal behandelt wurden?«
Lacy wurde aschfahl. »Wo … woher wissen Sie das?«
»Beantworten Sie einfach meine Frage.«
»Sie haben nicht das Recht, in meinem Privatleben
herumzuschnüffeln«, protestierte sie.
»Ich möchte nur eine Erklärung. Oder versuchen Sie etwas vor
mir zu verheimlichen?«
»Was sollte ich denn verheimlichen?«, sagte Lacy bestürzt.
»Sagen Sie es mir.«
Lacy warf mir einen frostigen Blick zu. »Ich muss Ihnen gar
nichts sagen. Aber wenn Sie es unbedingt wissen wollen … Nachdem David und ich
uns scheiden ließen, bekam ich Depressionen. Der Entschluss, die Scheidung
einzureichen, fiel mir nicht leicht.«
»David sagte mir, er habe die Entscheidung
getroffen, die Scheidung einzureichen.«
» Glauben Sie, was Sie wollen«, entgegnete Lacy
wütend. »Aber mein Aufenthalt im Bellevue geht Sie nichts an.«
»Das FBI hätte sich brennend für die Verbindung zwischen Ihnen
und Gemal interessiert, als wir im Doppelmord an David und Megan ermittelt
haben. Wie konnten wir das übersehen? Vermutlich lag es daran, dass Gemal von
Anfang an als Hauptverdächtiger galt und kein Grund bestand, Ihr Privatleben zu
erforschen.«
Lacy schaute mich misstrauisch an. »Was wollen Sie damit andeuten?«
»Nichts. Ich habe nur laut gedacht.«
»Was halten Sie davon, wenn Sie sich aus meinem Privatleben
heraushalten, Miss Moran? Das geht Sie nichts an.«
Brogan Lacy hatte einen schneidenden Ton angeschlagen. Offenbar
wies ihr Charakter noch andere Facetten auf, und zum ersten Mal wurde ich
Zeugin ihrer Wut. Ich hatte das Gefühl, eine andere Person vor mir zu haben.
War sie nur wütend, weil ihre Privatsphäre verletzt worden war, oder steckte
mehr dahinter? »Eine Frage hätte ich noch. Warum das Bellevue?«
»Ich dachte, das hätten Sie gewusst.«
»Warum sollte ich?«, fragte ich verwirrt.
Lacy drückte auf eine Taste des Videogerätes, worauf die Kassette
heraussprang. »Das Bellevue war froh, mir auf jede erdenkliche Weise helfen zu
können, weil Davids Vater einst zu den Vermögensverwaltern der Klinik gehörte
und diese zudem sehr großzügig unterstützt hat. Das Bellevue hat auch Davids Bruder
Patrick geholfen, mit seinen schweren psychischen Störungen zu leben.«
»Wie bitte?«
Lacy schaute mich an, als hielte sie mich für verrückt. »Unter
anderem litt Patrick unter einer multiplen Persönlichkeitsstörung, oder hat
David Ihnen das auch nicht erzählt?«
Ich war erstaunt. »Nein. Er hat mir nur gesagt, Patrick
litte unter Depressionen.«
»Es war viel schlimmer. Bei Patrick wurden so viele psychische
Defekte diagnostiziert, dass er sein Erwachsenenleben bis auf wenige
Unterbrechungen größtenteils im Bellevue verbrachte. Das Schlimmste war seine
psychopathische Veranlagung. Um die Wahrheit zu sagen, wusste Patrick gar
nicht, wer er war. Wenn sein Zustand sich verschlechterte, sprach er in unterschiedlichen
Sprachen und ahmte verschiedene Charaktere nach, nur nicht sich selbst. Für
Beobachter sah es so aus, als würden sie einem Schauspieler zusehen. Eine
multiple Persönlichkeitsstörung ist bei Menschen, die als Kind ein schlimmes
Trauma erlebten, beispielsweise sexuellen Missbrauch oder Prügel, nicht
ungewöhnlich. Ich glaube, sein Tod war eine
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