- Der Jünger des Teufels
Arbeit
vergessen, Sailor?«
»Ich habe es wirklich versucht. Wie ist die Lage, Lou?«
Ich hatte das Gefühl, Lou lächeln zu sehen. »Sie wollen
doch nur wissen, ob wir in Chinatown Beweise gefunden haben, stimmt’s?«
»Ich glaub schon. Und?«
»Ein Team hat die ganze Woche dort gesucht, und sie haben absolut
nichts gefunden, abgesehen von den verbrannten Überresten eines Hundes. Die
Gerichtsmedizin sagt, dass er schon sehr lange dort lag. Die Metro-Bediensteten
sind stinksauer, weil wir ihnen ständig im Weg stehen, und der Stationsvorsteher
schäumt vor Wut. Wenn wir nächste Woche nichts finden, blase ich die Aktion ab.«
Ich war erleichtert. »Das ist eine gute Nachricht. Ich
hoffe, es bleibt dabei.«
Die schlechte Nachricht war, dass ich wieder Albträume
bekommen hatte. Es war immer derselbe Traum: grässliche Bilder von Gemal, der
David und Megan in dem Steinbruch folterte, wo ihre Leichen gefunden worden
waren. Die Tatortfotos seiner Opfer gehörten zu den scheußlichsten Bildern, die
ich jemals gesehen hatte, und es war kein Wunder, dass ich unter Albträumen
litt. Die Erinnerungen waren so lebendig, dass ich oft aus dem Schlaf
aufschrak. Dann sah ich die entsetzlich entstellten Gesichter, sah die feuchten
Felswände und hörte die grauenhaften Schreie der beiden Menschen, die ich so
wahnsinnig geliebt hatte. Die Albträume brachten mich fast um den Verstand.
Am Mittwochmorgen lief ich mit Banjo wieder zum Miser’s Point
und duschte anschließend. Als ich ein frisches graues T-Shirt und eine
ausgewaschene blaue Levis angezogen hatte, klingelte das Telefon. Es war Lou. »Ich
dachte, ich erkundige mich noch einmal, wie es Ihnen geht, Kate. Denn ich
wollte Sie fragen, ob Sie Ihre Arbeit vielleicht doch schon wieder aufnehmen
können.«
Mein Puls schnellte in die Höhe. »Warum?«
»Es gibt da etwas, worüber ich mit Ihnen sprechen wollte. Es
ist wichtig. Könnten Sie heute Mittag kommen? Schaffen Sie das?«
Ich war überrascht, denn mir entging die Dringlichkeit
dieser Frage nicht, und in meinem Kopf schrillten sämtliche Alarmsirenen. »Was
ist, Lou? Raus mit der Sprache.«
Ich hörte ihn laut seufzen. »Es könnte sein, dass wir es
mit einem Nachahmer zu tun haben, der Gemals Mordmethoden und seine Handschrift
imitiert.«
» Was? «
»Es ist wirklich seltsam, Kate«, sagte Lou mit einem
sonderbaren Unterton.
»Was ist seltsam?«
»Heute Morgen haben wir aus dem Büro des Sheriffs in Culpeper
County die Nachricht erhalten, dass die Opfer eines Doppelmordes in einer
stillgelegten Mine zwanzig Meilen westlich von Fredericksburg gefunden wurden.
Ein Erwachsener und eine Jugendliche. Wir kennen die Identität noch nicht, aber
die Opfer sehen aus, als wären sie Gemal in die Hände gefallen. Außerdem sind
wir am Tatort auf einige recht merkwürdige Indizien gestoßen.«
»Zum Beispiel?«
»Kate, es wäre mir lieber, wenn wir persönlich darüber
sprechen.«
Das Herz schlug laut in meiner Brust. »Ich bin gegen Mittag
da. Wie lange sind die Opfer schon tot?«
»Der Sheriff meint, zwei Tage.«
18.
Washington,
D. C.
Die FBI-Nebenstelle in der Vierten Straße, in
der Nähe des Bürgermeisteramtes am Judiciary Square, ist ein schmuckloser Betonklotz,
in dem ein paar Hundert Special Agents untergebracht sind. Dieses Büro, das für
Washington, D.C., zuständig ist, verblasst neben der Zentrale des FBI, seinem
berühmten großen Bruder, dem J. Edgar Hoover Building, das ein paar Straßen vom
Weißen Haus entfernt liegt und in dem mehr als fünftausend Mitarbeiter
beschäftigt sind.
Ich fuhr mit dem Aufzug zu Lou Raines’ Büro, doch er war nicht
da. Wahrscheinlich hatte er sein Büro kurz verlassen oder war bei einer
Besprechung. Deshalb ging ich den Flur hinunter zu meinem eigenen Schreibtisch.
Unterwegs sah ich ein paar Kollegen, die telefonierten und mir zuwinkten. Ich
setzte mich und widmete mich meiner Post. Wie üblich handelte es sich größtenteils
um interne Mitteilungen. Die wichtigen Dinge heftete ich ab, den Rest warf ich
in den Papierkorb. Anschließend ging ich zur Kaffeemaschine, um mir eine Tasse
einzugießen.
»Aus dem Urlaub zurück, Moran?«
Ich drehte mich um und sah Vance Stone, der sich gegen den Türrahmen
eines Büros lehnte. Stone war knapp über vierzig, ein großer, stämmiger New
Yorker mit dicken, rot behaarten Unterarmen und wachsamen grünen Augen, was auf
irische Vorfahren hindeutete. Die Spannungen zwischen uns bestanden schon seit
Jahren. Er war ein
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