- Der Jünger des Teufels
am Strand brachen, und
den Möwen, die schreiend übers Wasser flogen. Als ich die Augen wieder
aufschlug, wusste ich, was ich als Nächstes tun würde.
16.
Ich fuhr zum Friedhof und lief an Grabstätten
mit Granit- und Bronzesteinen, an einigen frisch ausgehobenen Gräbern und einer
Hand voll Trauernder vorbei, die in ihrem eigenen Leid versunken waren. David
und Megan waren auf einem kleinen Hügel im Schatten von Birken zur letzten Ruhe
gebettet. Ich legte einen Strauß Blumen auf den schlichten Marmorstein und sprach
die Gebete und Worte, die ich sprechen wollte – dieselben Worte, die ich immer
sprach. Als ich im Schatten der Birken stand, tropften meine Tränen auf den
glatten Marmor mit den schlichten, in Gold gemeißelten Worten, die meinen
Kummer bezeugten:
David Bryce und Megan
Seine geliebte Tochter.
Mögen sie in Frieden ruhen.
Noch lange Zeit nach ihrem Tod hatte ich den
Friedhof fast täglich besucht, denn ich vermisste die beiden schrecklich. Ich
hatte mich neben den Grabstein gesetzt und mit ihnen gesprochen, doch manchmal
hatten mich dabei schauderhafte Bilder gequält: Ich sah ihre von Constantine
Gemal geschändeten Leichen vor Augen, und dieser grauenhafte Anblick verfolgte
mich dann tagelang, bis in den Schlaf hinein.
David war in mein Leben getreten, nachdem mein Ehemann Paul
mich an einem Herbstwochenende verlassen hatte. Er ließ nur einen kurzen
Abschiedsbrief zurück: »Kate, für mich läuft es nicht richtig mit uns, und ich
möchte die Scheidung. Trotzdem werde ich immer an dich denken. Pass gut auf
dich auf.«
Wir hatten seit einem Jahr Probleme gehabt und versucht,
sie mit Hilfe eines Eheberaters zu lösen, doch es hatte nicht funktioniert.
Paul und ich kannten uns seit unserem siebzehnten Lebensjahr aus der
Highschoolzeit. Er war ein dunkelhaariger, hübscher Junge, ein großartiger
Footballspieler und stets zu Späßen aufgelegt. Außerdem spielte er in der
Theatergruppe der Schule mit. Kein Wunder, dass ich mich bis über beide Ohren
in ihn verliebte. Später fingen wir beide kurz hintereinander bei der Washingtoner
Polizei an. Nach einiger Zeit wechselte ich zum FBI, doch Paul blieb bei der
regulären Polizei und wurde nach einer Beförderung zur Mordkommission versetzt.
Ich war verrückt nach ihm, obwohl er Besitz ergreifend war.
Sein Abschiedsbrief brach mir beinahe das Herz. Zum ersten Mal
im Leben griff ich nach Tranquilizern, worauf ich total apathisch wurde und
einen absoluten Tiefpunkt erreichte. Ich fühlte mich noch elender, als ich
erfuhr, dass Paul eine zwanzigjährige Sekretärin namens Suzanne kennen gelernt
hatte, die in seinem Polizeibezirk arbeitete.
Monatelang fehlte mir die Energie, mein Leben wieder in den
Griff zu bekommen, bis eine mitleidige Kollegin mich an einem verregneten
Freitag zu einer Bilderausstellung in eine Galerie in Georgetown mitschleppte,
zu der sie eingeladen war.
»Du musst unbedingt mal etwas anderes sehen, Kate. Du
siehst schrecklich aus.«
»Kunst ist nicht mein Ding, Adele.«
»Aber du brauchst Ablenkung. Sieh dir die Bilder von diesem
David Bryce an! Die Kritiker sagen ihm eine große Zukunft voraus. Außerdem
werden Wein und Häppchen gereicht. Und wer weiß, vielleicht laufen uns sogar
ein paar nette Typen über den Weg.«
Männer interessierten mich zu dem Zeitpunkt am
allerwenigsten. Ich schritt durch die cremefarben gestrichenen Räume der
Galerie, ohne vor einem von David Bryce’ farbenprächtigen Bildern stehen zu
bleiben. Als ich einen Wasserspender entdeckte, steuerte ich sofort darauf zu.
Ich war so schlecht drauf, dass ich zwei Tabletten nahm und einen Pappbecher
mit Wasser füllte. Ein Typ ging an mir vorbei. Er hatte hellblaue Augen und kurz
geschnittenes dunkles Haar. Als er die Tabletten sah, blieb er stehen und
schaute mich mitfühlend an. »Schweren Tag gehabt?«
»Kann man so sagen.«
»Kopfschmerzen?«
Vermutlich sah ich so trübsinnig aus, dass ich das Gefühl hatte,
dem Burschen eine Erklärung schuldig zu sein. Ich hielt die Pillenflasche hoch.
»Citalopram. Vom Arzt verschrieben.«
Citalopram war ein Beruhigungsmittel, das mir half, nachts zu
schlafen, doch ich nahm die Tabletten immer öfter, um die schlimmen Tage zu
überstehen. Der Fremde schaute mir in die Augen und reichte mir die Hand. »David
Bryce.«
Ich erinnerte mich an den Namen. »Sie sind der Künstler?«
»Ja. Ich glaube, wir kennen uns noch nicht.«
Ich schüttelte dem Burschen die Hand und sah ihn mir
genauer an.
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