- Der Jünger des Teufels
sechs von Ihrem Verein.«
Der Sheriff richtete den Strahl der Taschenlampe an Stone vorbei
auf die Halogenlampen, die einen glänzenden Schimmer auf die feuchten
Kalksteinwände warfen und den Tunnel wie ein Filmset erhellten.
Als wir weiter in die Mine eindrangen, überkam mich ein mulmiges
Gefühl. Ein Nachahmer des Jüngers. Vor knapp einer Woche hatte ich
Gemals Hinrichtung erlebt, und nun sah es so aus, als hätten wir es mit einem
Verbrechen nach seinem Strickmuster zu tun. Verübt vor zwei Tagen. Es
war bekannt, dass Killer wie Gemal, die zu trauriger Berühmtheit gelangt waren,
psychopathische Bewunderer hatten, die versuchten, die Methoden ihres »Helden« zu
imitieren.
Als wir um eine Ecke bogen, wurden wir von grellweißem Licht
angestrahlt. Wir befanden uns in einem Stollen, der etwas größer war als ein
Wohnzimmer. An den Felswänden schimmerte Feuchtigkeit. Die Mauern ragten
mindestens sieben Meter empor, und die Erde war mit Felssplittern übersät.
Starke Halogenscheinwerfer beleuchteten den Boden, der größtenteils mit
Flatterband abgesperrt war. Agenten und Polizisten achteten auf jeden ihrer
Schritte, als sie den Tatort unter die Lupe nahmen.
Zwei Kriminaltechniker waren gerade mit ihren Fotos fertig.
In einer Ecke staubten zwei Kollegen der Spurensicherung in weißen
Wegwerfoveralls den Boden nach Abdrücken ab. Mir stieg der Geruch des Benzins
in die Nase. Lou hob schweigend eine Hand, um einen gut aussehenden
Lateinamerikaner zu begrüßen. Der Mann trug eine Brille mit Drahtgestell und
hatte sich einen Schal um den Hals geschlungen. Zu seinen Füßen stand eine
geöffnete schwarze Arzttasche. Armando Diaz war einer unserer besten
Gerichtsmediziner. Sein Atem bildete weiße Schwaden in der Luft, als er zu uns
trat. »Tag zusammen. Wie geht es dir, Kate?«
»Ich lebe. Und selbst, Armando?«
Er zwinkerte mir mit diesem Blick voller Anspielungen zu, den
nur Lateinamerikaner beherrschen. »Ich frier mir den Arsch ab. Hier herrschen
Temperaturen wie in einer Tiefkühltruhe. Wie kommt’s, dass ich immer die besten
Fälle kriege?«
»Pures Glück«, erwiderte ich. Diaz stand in dem Ruf, ein Frauenheld
zu sein. Sein kurz geschnittenes Haar war wasserstoffblond, und in seinem
linken Ohrläppchen steckte ein goldener Ohrring. Es kursierte das Gerücht, dass
seine Brustwarzen mit zwei silbernen Ringen gepierct waren. Diaz war zweifellos
ein bisschen verrückt, woran Lou uns gerne erinnerte: »Jeder, der auf
Inlineskates zur Arbeit kommt und einen hautengen Speedoanzug mit Genitalschutz
trägt, kann nicht ganz dicht sein.«
Diaz wusste nichts von meiner Phobie, doch meine Angst war
mir sicher anzusehen. Die Anwesenheit von mindestens zehn Personen in dem
Schacht linderte mein Unbehagen zwar ein wenig, konnte es aber nicht
vertreiben.
Diaz nahm eine starke Taschenlampe aus seinem schwarzen Köfferchen
und wies mit dem Kopf auf die Mitte des Stollens.
»Ich zeig dir, was wir gefunden haben. Die beiden liegen
gleich da drüben um die Ecke. Aber ich warne dich, Kate. Es ist ein
unerfreulicher Anblick.«
21.
Ich folgte Diaz und Stone und bekam den ersten
Schock, als ich eine flache Steinplatte erblickte, die etwas größer als ein
Esstisch war. Darauf lagen die verkohlten Überreste zweier Leichen, deren
Gesichter bis zur Unkenntlichkeit verbrannt waren.
Ich erstarrte vor Wut und Entsetzen. Es sah aus, als wären die
Skelette in einer tödlichen Umarmung verschmolzen. In den letzten zwölf Jahren
hatte ich viele Leichen gesehen, doch an jedem Tatort überkamen mich Abscheu
und Mitleid. Diesmal war es nicht anders. Ich presste mir eine Hand auf den
Mund. Der Gestank des verbrannten Fleisches, in den sich der Geruch des Benzins
mischte, ließ Übelkeit in mir aufsteigen.
Wie jedes Mal, wenn ich einen neuen Mordschauplatz betrat, erfasste
mich innere Unruhe. Ich spürte dunkle Geheimnisse grässlicher Gewaltorgien in
der kalten Luft. Die Leichen waren so stark verbrannt, dass man nicht einmal
ihr Geschlecht erkennen konnte. Ein kleines schwarzes Holzkreuz von vielleicht fünfzehn
Zentimetern Länge lag in der Mitte zwischen den beiden Toten. Ich schloss die
Augen, öffnete sie wieder und musste tief durchatmen, als ich auf die
verkohlten Leichen und das Kreuz starrte.
Der Sheriff sagte: »Ich habe in den Morden ermittelt, die
Gemal vor sechs Jahren in der Nähe von Culpeper begangen hat. Mathew und Carol Brians.
Vater und Tochter, deren Leichen in einem Steinbruch gefunden wurden. Erinnern
Sie
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