- Der Jünger des Teufels
Sie würden mir eine andere Antwort geben,
Agent Stone«, sagte Lacy.
Stone blieb ihr die Antwort schuldig. Aus unersichtlichem Grunde
wurde Lacy nervös und schaute auf die Uhr. »Wenn Sie mich bitte entschuldigen
würden. Ich muss eine Autopsie vornehmen. In der Regel lasse ich mir vorher ein
wenig Zeit, um mich zu sammeln. Es wäre nett, wenn Sie jetzt gehen würden.«
»Danke, dass Sie Ihre Zeit für uns geopfert haben«, sagte Stone
mit enttäuschter Miene.
Brogan Lacy führte ihre Besucher zur Tür. Lou reichte ihr
die Hand und sagte mit aufrichtigem Mitgefühl: »Ich wünsche Ihnen alles Gute,
Miss Lacy. Ich werde Sie in meine Gebete einschließen.«
Brogan Lacy fiel es schwer, ihre Gefühle zu kontrollieren.
»Danke, Mr Raines, aber ich habe gelernt, dass Gebete
nichts ändern.«
66.
Brogan Lacy wartete, bis ihre Besucher gegangen
waren, und trat dann ans Fenster. Ein paar Minuten später sah sie, dass die beiden
Agenten das Gebäude verließen und auf den Parkplatz zusteuerten. Sie fragte
sich nach dem wahren Grund für dieses Verhör. Vielleicht war sie auch zu
misstrauisch. Ihr war nichts Besonderes aufgefallen, und sie hatte eher das
Gefühl, als hätten die Agenten im Dunkeln getappt.
Lacy trat vom Fenster zurück und warf das unberührte
Sandwich in den Papierkorb in der Ecke. In letzter Zeit hatte sie kaum Appetit.
In den vergangenen achtzehn Monaten hatte sie dreißig Pfund abgenommen, und
wenn sie nicht aufpasste, würde es mit ihrem Gewicht weiter heruntergehen.
Dabei musste sie unbedingt bei Kräften bleiben. Sie war es dem Andenken an ihre
Tochter schuldig, alles zu tun, nicht in den Abgrund zu stürzen. Doch es wurde
von Tag zu Tag schwerer, ohne Megan zu überleben.
Sie hatte erfahren, was wirklicher Kummer bedeutete,
als sie ihre einzige Tochter verloren hatte. Es war die Hölle auf Erden, grauenhafte
Schmerzen, als würden tausend Dolche ihr Herz durchbohren. Nichts würde jemals
die qualvolle Lücke schließen, die Megan hinterlassen hatte.
Sie war jetzt siebenundvierzig, und für ein zweites Kind
war es zu spät. Außerdem hätte kein Kind ihr Megan ersetzen können. Wenn sie
sich an das Lächeln und Lachen ihrer Tochter erinnerte, an ihren Humor und ihre
Zärtlichkeiten, wenn sie daran dachte, wie sie Megan als Baby in den Armen
gehalten und sie besänftigt hatte, bis sie einschlief, hätte sie sich manchmal
am liebsten neben Megans Grab gekniet und sich eine Kugel in den Kopf gejagt.
Constantine Gemals grausames Vermächtnis lebte fort, und daran würde sich nie
etwas ändern. Und sie wusste ganz genau, wem sie die Schuld dafür gab.
Lacy wollte sich gerade vom Fenster abwenden, als sie eine Frau
mittleren Alters Arm in Arm mit einem jungen Mädchen sah, das sie an ihre
Tochter erinnerte.
Das Mädchen war hübsch, vielleicht vierzehn oder fünfzehn Jahre
alt, und ihr blondes Haar war lang und zerzaust, wie Megan es getragen hatte.
Brogan Lacy stiegen Tränen in die Augen. Sie wandte sich vom Fenster ab, als
die Trauer sie zu überwältigen drohte. Ihre Hände zitterten, und die
Erinnerungen quälten sie. Sie war versucht, ihr Medikament zu nehmen, das
Aufputschmittel, das dafür sorgte, dass sie nicht die Nerven verlor, denn der
Schmerz war schier unerträglich. Doch heute Nachmittag wartete Arbeit auf sie,
und sie musste einen klaren Kopf bewahren.
Plötzlich wurde die Tür geöffnet, ohne dass jemand geklopft
hätte. Eine junge Frau trat ein, ein Klemmbrett in der Hand, und fragte
besorgt: »Ist alles in Ordnung, Dr. Lacy?«
»Ja … danke, Anne. Ich hatte nur etwas im Auge.«
»Wir können mit der Autopsie beginnen«, sagte die junge Frau.
Mit zitternden Händen wischte Lacy sich über die Augen.
»Gut, Anne. Ich komme sofort.«
67.
Paris,
Frankreich
Ich folgte Josh über die Straße und ein paar
Stufen zu einem Gehweg hinunter. Wir kamen an ein paar Liebespaaren vorbei, die
auf Bänken am Ufer saßen und sich küssten. Ich war ein wenig neidisch. Es war
lange her, dass ein Mann mich geküsst, gestreichelt und begehrt hatte.
Es war ein milder Abend, und während unseres Spaziergangs erinnerte
ich mich jäh daran, dass David und ich vorgehabt hatten, unsere Flitterwochen
in Paris zu verbringen.
»Quält es dich immer noch, dass du Jupe erschossen hast?«
Die Frage riss mich aus meinen Gedanken. Ich verschränkte die
Arme, um mich vor der Kälte zu schützen, als ein eisiger Windstoß vom Fluss
herüberwehte. »Es geht schon wieder.«
Josh nickte. »Aber dich
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