Der Jünger
rissen sie die ersten Worte des Anrufers aus ihren Gedanken.
“Ich habe gehört, dass Sie nach mir suchen.”
Januarys Finger blieben augenblicklich bewegungslos auf der Tastatur liegen.
“Wer spricht da?”, fragte sie.
“Nur ein einfacher Sünder, der versucht, seine Fehler wieder gutzumachen.”
Januarys Herz setzte einen Schlag lang aus. Ein Sünder? War das der Mann, der sich selbst “der Sünder” nannte? Der behauptete, in der Hölle gewesen zu sein?
“Sind Sie der Priester, der sich 'der Sünder' nennt?”
“Ich bin kein Priester, und Sünder sind wir doch alle. Was wir tun, um für unsere Taten Abbitte zu leisten, das allein zählt.”
“Sind Sie wirklich einmal fast gestorben?”
“Nein.”
“Sie hatten also kein …”, begann sie enttäuscht.
“Ich bin nicht
fast
gestorben”, unterbrach er sie. “Ich war tot, und ich war in der Hölle.”
“Also doch!”, rief sie aufgeregt. “Würden Sie vielleicht …”
“Warum haben Sie eigentlich nach mir gesucht?”, unterbrach er sie abrupt.
“Das versuche ich Ihnen gerade zu erklären. Ich möchte ein Interview mit Ihnen machen.”
“Warum?”
“Nun … Weil es …”
“… eine gute Story wäre?”
“Ja, aber es wäre auch für andere Menschen wichtig, davon zu hören. Stellen Sie sich vor, wie viele ihr Leben ändern würden, wenn sie von Ihrem Erlebnis hören. Also, was halten Sie davon?”
“Nichts.”
January runzelte die Stirn. “Warum?”
“Jesus hat sich der Welt nicht auf diese Art präsentiert, und ich werde es auch nicht tun.”
January seufzte. “Sind Sie einer von den WWJT-Leuten?”
“Das Wort sagt mir nichts. Was bedeutet WWJT?”
January schnappte sich einen Kuli. “Das heißt: 'Was Würde Jesus tun?' Diese Abkürzung steht für eine Gruppe junger Leute, die für einen abstinenten Lebenswandel eintreten, gegen Drogen, Sex und alle Arten von sündigem Verhalten gemeinsam ankämpfen.”
Einen Augenblick herrschte Schweigen am anderen Ende der Leitung. Mit zittriger Stimme sprach er weiter.
“Wenn ich zu so einer Gruppe gehört hätte, wäre ich vielleicht heute nicht da, wo ich bin.”
“Überlegen Sie es sich doch noch einmal. Ich kann Ihnen eine Öffentlichkeit verschaffen. Denken Sie an all das Gute, das Sie bewirken könnten … die vielen Menschen, die Sie mit Ihrer Botschaft erreichen würden. Was meinen Sie?”
“Ich meine, das ist Ihr Interesse, nicht meins, Miss DeLena. Meine Mission hat längst begonnen.”
January wurde hellhörig. “Was für eine Mission?”
“Meine Mission ist Ihre Story”, sagte der Mann.
January umklammerte den Hörer fester. “Dann sagen Sie mir, worum es geht! Was wollen Sie tun? Wovon reden Sie?”
“Er hat zu mir gesprochen. Lebe so, wie ich gelebt habe, hat er gesagt! Und das tue ich.”
“Wer hat Ihnen das gesagt?”
“Jesus Christus, mein Herr und Erlöser.”
Die Leitung wurde unterbrochen. January knallte ärgerlich den Hörer auf die Halterung, dann zog sie ihren Notizblock aus der Schreibtischschublade. Sie wollte jedes seiner Worte aufschreiben, bevor sie sie vergaß. Beim Schreiben zitterten ihre Hände. Sie hatte keine Ahnung, wovon er gesprochen hatte. Aber sie war entschlossen, genau das herauszufinden.
January beendete ihren Bericht und reichte ihn gerade noch rechtzeitig vor Redaktionsschluss ein. Sobald sie konnte, verließ sie das Studio und ging zurück auf die Straße. Sie witterte eine gute Story, die dort auf sie wartete.
Eine Woche später
Selbst in einer Stadt wie Washington, in der die Gesetze “gemacht” werden, schrecken die Gesetzlosen vor nichts zurück. Selbst hier gibt es ein Viertel, das fast ausschließlich den Gesetzesbrechern vorbehalten ist. Früher wurde es als Rotlichtmilieu bezeichnet, inzwischen ist es für viele Obdachlose und Straftäter einfach nur der perfekte Ort zum Untertauchen.
An einer Straßenecke dieses Viertels stand Bruder John, ein großer bärtiger Mann, auf einer Milchkiste und predigte. Obwohl er von seinen Zuhörern ständig unterbrochen wurde, vermittelte er seine Botschaft nicht weniger leidenschaftlich. Sowohl sein Cajun-Akzent als auch die roten Kopf- und Barthaare ließen keinen Zweifel an seiner Herkunft: Bruder John stammte aus Louisiana.
“Es ist nie zu spät, den Herrn kennenzulernen”, versprach er. “Er kann jederzeit zurückkommen! Wollt ihr zurückgelassen werden? So hört mich an: Jesus wird kommen. Ja, Jesus wird kommen!”
“Per Auto oder Schiff?”, schrie
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